24.3.22

Fridays For Future goes über-woke

Am 23.3.2022 erhielt die Musikband RONJA MALTZAHN & THE BLUEBIRD ORCHESTRA von Friday For Future die Nachricht, dass sie nicht auf der FFF-Demo in Hannover auftreten dürfe, weil die Sängerin der Band Dreadlocks habe. Sollte sich Ronja Maltzahn aber die Haare schneiden dürfe die Band doch auftreten, eine Aussage, die laut einer späteren Presseerklärung von FFF so nicht hätte getroffen werden dürfen weil unsensibel und grenzüberschreitend. Im übrigen sei man bereit nach der Demo in Austausch zu gehen.

An diesem Vorgang so viel falsch dass es sich lohnt ins Detail zu gehen. Zum einen ist das Angebot, nach der Demo "in Austausch" zu gehen heuchlerisch, weil der Schaden der öffentlichen Ausladung und Diffamierung nicht wieder gut zu machen ist. Auch das Angebot, die Band dürfe auftreten, wenn Ronja Maltzahn ihre Haare schneide, ist Ausdruck von Überheblichkeit und fordert von der Band eine Unterwerfungsgeste, wo diese doch mit ihrem Auftritt eine gleichberechtigte Solidarität mit FFF demonstrieren wollte. Dass sich FFF für dieses "Angebot" entschuldigt hat ändert nichts daran dass die Forderung in der Welt ist und zudem die Ausladung weiterhin besteht. Zudem beschwört die Aufforderung sich die Haare zu schneiden Bilder herauf von Frauen mit kahlgeschorenen Köpfen, die wegen angeblicher Kollaboration mit Besatzungssoldaten 1945 durch französische Straßen getrieben wurden. Soviel zur historischen Sensibilität von FFF. Das diese Forderung überhaupt erhoben wurde belegt einen moralischen Rigorismus von FFF, der leicht in Gewalt gegen Menschen umschlagen kann. Dazu passt auch, dass Dreadlocks ja ein religiöses Symbol der Rastafari sind. Ich weiß nicht, ob Ronja Maltzahn Anhängerin dieses Glaubens ist, aber falls dies der Fall sein sollte wäre die Forderung sich die Haare schneiden zu lassen ein Angriff auf ihren Glauben, weshalb FFF dies im Vorfeld hätte klären müssen was aber offenbar nie jemand in Erwägung gezogen hat. Ob FFF es auch wagen würde Gil Ofarim nur unter der Auflage, seinen Davidstern-Anhänger zu verstecken, auf die Bühne zu lassen?

Aber warum sind die Dreadlocks von Ronja Maltzahn überhaupt ein Problem? Laut FFF seien Dreadlocks bei weißen Menschen eine kulturelle Aneignung, schwarze Widerstandssymbole hätten auf weißen Köpfen nichts zu suchen. Zudem wolle FFF ein "Safe Space" für BiPoC's sein. Nun stellt sich die Frage, inwieweit es sinnvoll ist FFF als "Safe Space" zu begreifen, als einen Schutzraum, in dem marginalisierte Personen sich diskriminierungsfrei austauschen können. Tatsächlich ist FFF und insbesondere die von FFF veranstalteten Demonstrationen und Aktionen genau das Gegenteil eines "Safe Space" weil FFF sich nicht von der Öffentlichkeit absondern, sondern im Gegenteil an die Öffentlichkeit drängt und mit dieser in Kommunikation treten will, um sie von ihren Ansichten zu überzeugen. Das vorgeschobene Argument des "Safe Space" ist vielmehr der Versuch, durch unterschiedliche Lebenserfahrung der Beteiligten möglicherweise auftretende Konflikte innerhalb von FFF zu unterdrücken, was nicht gerade für ein demokratisches und herrschaftsfreies/gleichberechtigtes Miteinander spricht. Zudem führt eine solche Tabuisierung später nur zu viel größeren Konflikten.

Weiterhin ist die Behauptung Dreadlocks seien schwarze Widerstandssymbole eine extreme Verkürzung der historischen Realität (genauso wie das Swastika allein auf den Nationalsozialismus zu reduzieren). Richtig ist, dass Dreadlocks popkulturell ihren Ursprung in der Rastafari-Bewegung haben, diese aber in erster Linie eine religiöse Bewegung war, in der Frauen eher unterdrückt wurden. Die Rastas waren aber nicht die Erfinder der Dreadlocks, die bei ihnen wie eine Löwenmähne wirken sollte (bekanntermaßen sind es die Löwinnen, die jagen, und die Löwen als Paschas machen sich dann über die Beute her, genauso wie die Rasta bekifft die Trommeln schlagen und den Frauen die Arbeit überlassen - sorry für das Klischee), tatsächlich finden sich Dreadlocks bereits bei den Azteken, im Hinduismus, bei den australischen und nordamerikanischen Ureinwohnern, im Islam, im Buddhismus, bei den Massai, auf griechischen Statuen und Vasen, bei den alten Ägyptern, im Europa der Stein- und Bronzezeit, im Polen des 17. Jahrhunderts, am dänischen Königshof., bei den Mau-Mau-Kriegern gegen die deutsche Kolonialarmee. Dreadlocks gab es weltweit zu verschiedenen Zeiten in zahlreichen Kulturen in unterschiedlicher Bedeutung, sie auf ein Symbol schwarzer Widerstandskultur (ich kenne kein einziges Bild aus der afro-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre, wo jemand Dreadlocks trägt) zu verkürzen ist eine ideologische Verfälschung einer langen kulturellen Tradition, weshalb kein Fall "kultureller Aneignung" vorliegen kann, weil Dreadlocks menschliches Allgemeingut sind.

Überhaupt, was ist überhaupt "kulturelle Aneignung"? Dazu sind 2 Ebenen zu unterscheiden, zum einen der Vorgang an sich, zum anderen die Frage nach der moralischen Rechtfertigung. "Kulturelle Aneignung" an sich bedeutet nichts anderes als Übernahme eines Bestandteils einer Kultur in eine andere Kultur bei ihrer gleichzeitigen Veränderung/Anpassung, ein Vorgang den es zu allen Zeiten gegeben hat, das Lernen von seinen Mitmenschen wie die Übernahme technischer Errungenschaften und ihre Weiterentwicklung, von künstlerischen Techniken zum Zweck der Formulierung eigener Ideen, von Gesellschafts- und Herrschaftsformen unter Anpassung an die lokalen Gegebenheiten. Mein Lieblingsbeispiel in diesem Zusammenhang sind die Sapeurs, die Kongo-Dandies von Brazzaville und Kinshasa, Männer die die Eleganz europäischer Dandies im Kontrast zu ihrer zentralafrikanischen Umgebung pflegen. Die Kultur der Sapeurs ist eindeutig eine Übernahme europäischer Traditionen im kompletten Widerspruch zu ihrer zentralafrikanischen Umgebung (die im übrigen auch nur noch geringe Bezüge zu Traditionen aus der Vorkolonialzeit hat) bei gleichzeitiger Anpassung an die eigenen Bedürfnisse. Dieses Beispiel eignet sich auch gut, um die zweite Ebene der "kulturellen Aneignung" zu beschreiben, nämlich die Frage wann dieser Vorgang moralisch gerechtfertigt ist oder nicht. Kulturelle Aneignung wird immer dann als moralisch verwerflich angesehen, wenn sich in der Übernahme ein Herrschaftsgefälle zeigt. Bei woken Menschen wird kulturelle Aneignung nur in Bezug auf kulturelle Ausdrucksformen wie Kunst, Musik, Tanz, religiöse Symbole, Sozialverhalten, Sprache usw. betrachtet, geht aber meines Erachtens darüber hinaus. Wo zeigt sich deutlicher ein Machtgefälle, wenn Pharmakonzerne das medizinische Wissen von indigenen Völkern sich patentieren lassen und damit Geld verdienen, die "Entdecker" damit quasi enteignen? Tatsächlich geht es immer um einen wirtschaftlichen Vorteil, der durch die kulturelle Aneignung erzielt werden soll, andernfalls fehlt doch eine Motivation sich überhaupt mit einer fremden Kultur jenseits der Wissenschaft zu beschäftigen. Irgendwie wollen sich das aber viele woke Kritiker nicht eingestehen, weshalb sie gerne davon sprechen, durch kulturelle Aneignung würden diskriminierende Stereotype erzeugt, Bedeutungen verfälscht oder negiert und damit die Eigenständigkeit der vermarkteten Kultur vernichtet. Das Problem bei dieser Betrachtungsweise ist, dass sie ideale Anschlussmöglichkeiten für die rechtsradikale Ideologie bietet, denn was ist die Klage über kulturelle Aneignung nichts anderes als die rechtsradikale Klage von der Vermischung der Kulturen, die zum Untergang der jeweiligen eigen Volkskultur führt? Und dieser Vorwurf, rechtsradikales Denken in die linken Diskurse einzuschleusen, richtet sich nicht nur an die woke weiße Jugend, sondern auch an die BiPoC-Vertreter*innen, die sich der gleichen Argumentation bedienen.

Was bedeute das jetzt für den Ausschluss von RONJA MALTZAHN & THE BLUEBIRD ORCHESTRA von der Fridays For Future-Demo? Der Ausschluss basiert auf ideologischer Verblendung in Verkennung der tatsächlichen Kulturgeschichte von Dreadlocks, die eben kein kulturelles Artefakt der afro-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre sind, sowie dem falschen Glauben an abgrenzbare kulturelle Unterschiede wie sie auch im Rechtsradikalismus propagiert wird. Zudem kann Ronja Maltzahn keinerlei ökonomischer Gewinn gegenüber irgendwem durch das Tragen von Dreadlocks nachgewiesen werden (das tragen von Dreadlocks ist heute kein subkulturelles Alleinstellungsmerkmal mehr), noch dass irgendeine andere Kultur dadurch geschädigt wird. Denn noch nicht einmal in den betroffenen Kulturen sind sich die Menschen darüber einig, ob die jeweilige kulturelle Aneignung sie beleidigt oder Stolz auf ihre Kultur macht und die Übernahme als Respektbezeugung durch fremde Kulturen zu verstehen sei.

2 Kommentare:

RYP hat gesagt…

ist das kulturelle Aneignung, wenn viele junge Männer den scheiß "Heinrich Himmler Pott-Haarschnitt" tragen?

martinf hat gesagt…

Möchtest du eine ehrliche oder eine zynische Antwort? Wobei ich mir nicht sicher bin ob das einen Unterschied macht...