29.6.21

Alter weißer Mann

Vor ein paar Wochen lief die Jubiläums-Sendung zu 60 Jahre Panorama in der ARD. Darin wurde natürlich auch der historischen und aktuellen Kritik an der Sendung Platz eingeräumt, z.B. mit diesem Gespräch mit einem "Kritiker":
Aus dem Sendeprotokoll ab Minute 11 (ich hoffe mit dem längeren Zitat keinen Verstoß gegen das Urheberrechtsgesetz zu begehen):

Moderartion Anja Reschke: Die Kritik an uns ist so alt wie unsere Sendung. Neulich bekam ich zum Beispiel folgende Mail:
"Sehr geehrte Damen und Herren, ich bin weder ein Fan von Panorama und schon gar nicht von Frau Reschke. Die journalistische Leistung ist mir einfach zu schlecht. Ich frage mich ernsthaft, ob jede geistige Tieffliegerin bei der ARD machen kann, was sie will. Von Frau Reschke habe ich schon lange die Meinung, dass sie nur über eine Intellektuelle Minimalkonfiguration verfügt."
Okay. Was genau habe ich gemacht, um so beschimpft zu werden? Ich habe neulich in einer Sendung folgendes gesagt:
Filmausschnitt: O-Ton: Anja Reschke: "MinisterpräsidentInnen"
Moderation Anja Reschke: "Ich habe gegendert. Bei genau zwei Wörtern in dieser Sendung. Das ist ungefähr so, wie in den 60ern das Wort Verhütung zu sagen. Regie -könnt ihr es mir bitte nochmal einspielen? Es war so kurz:
Filmausschnitt: O-Ton: Anja Reschke: "MinisterpräsidentInnen"
Moderation Anja Reschke: "Tja, wen regt sowas so auf, dass er gleich schreiben muss? Ihn hier: Ludwig Briehl, 73 Jahre, verheiratet, drei Kinder, eine Enkelin, er hat studiert, dann war er jahrelang Coach und Berater für große Firmen. Heute ist er Rentner und passionierter Leserbriefschreiber. Warum hat er so eine Wut auf mich, auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Ich war neugierig und bin hingefahren. Nach Baden-Württemberg, nicht weit vom Bodensee.

Ludwig Briehl: "Schön, dass sie da sind Frau Reschke."
Anja Reschke: "Grüß Gott, Herr Briehl. Hätten Sie gedacht, dass ich komme?"
Ludwig Briehl: "Wollen Sie eine ehrliche oder höfliche Antwort? Nein, natürlich nicht. Ganz klar nicht wegen einer E-Mail. Und ich meine, sie war nicht so heftig."
(Soll das heißen, dass er auch heftigere E-Mails und Leserbriefe schreibt, möglicherweise sogar mit Todesdrohungen? - MF)
Anja Reschke: "Naja, ich sage einmal kurz "MinisterpräsidentInnen" und das veranlasst Sie schon dazu, direkt mir... Ich bin ein geistiger Tiefflieger. Ich habe eine intellektuelle Minimalkonfiguration, also so bang richtig reinzudonnern. Finden Sie das einen guten Ton so miteinander?"
Ludwig Briehl: "Nicht unbedingt. Aber, sage ich jetzt mal, eine Journalistin soll es verkraften.
(Warum? Journalist*innen sind keine Teilnehmer am öffentlichen Meinungskampf, anders als Politiker*innen und Kommentator*innen. - MF) Ich habe gerade mal so hin gezappt. Ich war drei Sekunden im Programm und höre Sie Minister*innen sagen. Verstehen Sie? Das sind dann so Momente, wo ich nicht konsequent ruhig bleibe. (Okay, er sieht 3 Sekunden einer halbstündigen Sendung und leitet daraus sein Urteil über die Sendung und die Moderatorin ab... kann man machen, kann aber auch nach hinter losgehen. Denn was waren die Themen der Sendung vom 25.März? "Impfbummler: Warum es in Niedersachsen so langsam geht", "Der Staat als Vermieter: Keine Gnade trotz Corona" und "Verbrannte Erde: Wie Syrien seine Bürger verstößt.". Offenbar sind nach Ansicht von Herrn Briehl diese Themen unwichtig bei der Beurteilung der journalistischen Leistung von Frau Reschke und ihren Mitarbeiter*innen, entscheidend ist allein ihre Wortwahl. Immerhin stört es ihn nicht, dass sie Hosen trägt. - MF) Das hat ja in meinen Augen mit Journalismus überhaupt nichts zu tun. (Keine Ahnung, was nach Ansicht von Herrn Briehl "richtiger Journalismus" ist. - MF) Sie sollen zwar zur Meinungsbildung beitragen, aber Sie sollen nicht den Leuten, sage ich jetzt mal, irgendwelche Meinungen beibringen, (Ich verstehe nicht ganz den Unterschied zwischen "zur Meinungsbildung beitragen" und "den Leuten irgendwelche Meinungen beibringen". Glaubt Herr Briehl, die Moderation sei ein Befehl an die Zuschauer*innen, genauso wie Frau Reschke zu denken? Er selbst ist ja der Beweis, dass das nicht funktioniert. Unabhängig davon, wie könnte jemand mit einer "intellektuellen Minimalkonfiguration" anderen Menschen seine/ihre Meinung aufzwingen? Hält Herr Briehl den Rest der deutschen Bevölkerung für intellektuell noch tiefstehender? - MF) die einfach jenseits sind von Gut und Böse. ("Jenseits von Gut und Böse" ist der Titel eines Buches von Friedrich Nietzsche, in dem er sich mit Moralvorstellungen beschäftigt. Jemanden vorzuwerfen, er/sie/es sei jenseits von Gut und Böse soll wohl den Vorwurf enthalten, dass sich diese Person nicht an die herrschenden Moralvorstellungen hält - oder zumindest die Moralvorstellungen des/derjenigen, der sich für dieseits von gut und Böse hält. - MF) Sagen wir mal so, dass Minister*innen, das ist ja irgendwo eine weibliche feministische Sicht der Dinge, die ja, sage ich jetzt mal, im realen Leben keinen Bestand hat." (Nach Ansicht von Herrn Briehl sind Frauen offenbar von der Bestimmung was "reales Leben" ist ausgeschlossen, bzw. dürfen nicht mitbestimmen, was Gut und Böse sei. - MF)
Anja Reschke: "Finden Sie, dass Frauen nicht so mitspielen sollten?"
Ludwig Briehl: "Wenn ich jetzt mal fragen würde Frau Reschke, wenn Sie sich dieses Haus angucken, die Mauern, die Fenster. Was davon hat eine Frau gemacht? Wenn Sie rausschauen auf die Straße. Was unter der Straße liegt, Strom, Gas, Wasser, was davon hat eine Frau gemacht?"
(Das ist natürlich purer Blödsinn was Herr Briehl hier sagt, es sei denn er war beim Bau des Hauses, sowie der Verlegung der Strom-, Gas- und Wasserleitungen unter der Straße persönlich dabei. - MF)
Anja Reschke: "Wenn ich Ihnen jetzt zuhöre, dann haben Frauen nichts davon geleistet. Oder leisten Frauen nicht genug?"
Ludwig Briehl: "Schiffe? Bauen Frauen Schiffe? Denken Sie mal an die Windkrafträder. Wer baut denn die auf? Wer stellt die Masken? Wer hängt die Rotoren dran? Wer macht den Motor an? Machen das die Frauen?"
(Noch mehr patriarchaler Schwachsinn. Offenbar hat Herr Briehl noch nie einen Betrieb von innen gesehen, zumindest nicht seit dem Eintritt in sein Rentenalter. - MF)
Anja Reschke: "Und warum machen das die Frauen nicht?"
Ludwig Briehl: "Weiß ich nicht, das ist Entscheidung der Frauen.
(Wow, Frauen haben sich seit Jahrhunderten freiwillig unter die Knute des Patriarchat begeben. - MF) Es ist doch auch Ihre Entscheidung, hier zu sitzen und nicht Autos zu reparieren oder irgendwie so. (Und es war seine Entscheidung zu studieren anstatt sich als Maurer die Finger schmutzig zu machen. - MF) Da brechen einem halt die Fingernägel ab, weil man so Sachen macht. (Es ist faszinierend zu beobachten, wie Menschen nicht bemerken, dass sie sich mit solchen Behauptungen selbst ins knie schießen. - MF) Es sind doch, was ich sagen will, es sind doch im Prinzip die Frauen, die sich aus ganz, ganz weiten Bereichen des Lebens total raushalten." (Es ist mir unbegreiflich wie ein Mensch, der studiert hat (Abschluß Diplom-Kaufmann), nicht in der Lage ist, gesellschaftliche Diskussionen wahrzunehmen und sein Faktenwissen zu erweitern und somit nachvollziehen zu können, warum andere Menschen anderer Meinung sind. Ich kann mir das nur so erklären, dass er offenbar einen Studiengang gewählt hat, der statt Wissenschaft Ideologie produziert wie z.B. die sogenannten "Wirtschaftswissenschaften". Und mit diesen Scheuklappen glaubt sich Herr Briehl für qualifiziert, Mitarbeiter*innen zu entwickeln? - MF)

Moderation Anja Reschke: "Tja. Das war nicht so einfach mit uns beiden. Und ich habe schon befürchtet, das Gespräch ist dann zu Ende. Aber eigentlich wollte ich mit ihm ja über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sprechen. Und wir haben das dann auch noch gemacht:"

Anja Reschke: "Warum haben Sie so eine Wut auf die Öffentlich-Rechtlichen?"
Ludwig Briehl: "Ich habe doch keine Wut. Was ich habe, da muss ich dann ganz ehrlich sein: Es ist eher Verachtung. Fast."
(Verachten kann man/frau doch nur, was unter einem/einer steht. Zeigt sich hier eine Hang zum Herrenmenschentum? - MF)
Anja Reschke: "Sie verachten den öffentlich-rechtlichen Rundfunk?"
Ludwig Briehl: "Nicht den Rundfunk. Ich habe keine öffentlich-rechtliche Verdrossenheit, aber mit doch vielen, die da einfach ihrer Verantwortung in meinen Augen überhaupt nicht sich bewusst sind. Oder auch Panorama.
(Offenbar nimmt Herr Briehl die anderen Politmagazine der ARD nicht wahr, insbesondere Report vom BR, obwohl... - MF) Ich habe ja jetzt ein paar Beispiele da angeschaut. Das sind völlig einseitig abgelichtete Beiträge. Ihr berichtet gern mal über Missstände auf der rechten Seite. Nach links schaut ihr nicht hin. Gerade eben bei Panorama fehlt mir auch die andere Seite. Das ist das Problem. Immer nur ein Weg. Meinungsbildung also wird einseitig gefördert." (Das ist das Problem mit vielen dieser sogenannten "Kritiker*innen", sie nehmen nur das wahr, was ihr Weltbild bestätig. In der Panorama-Sendung vom März wurde das niedersächsische Sozialministerium (SPD-Ministerin) und die Bremer Baugesellschaft (Aufsicht hat die grüne Bausenatorin) kritisiert. Wo ist da der Blick nur nach rechts? Offenbar muss nach seiner Ansicht nicht das gesamte Fernsehprogramm ausgewogen sein, sondern jede einzelnen Sendeminute. - MF)
Anja Reschke: "Wir haben einen Grimme-Preis gekriegt für eine Sendung über den G20 Gipfel und die linken Radikalen."
Ludwig Briehl: "Ja, wer verteilt denn die Preise? Irgendwelche Journalisten verteilen?"
(Genau, alles eine linke Verschwörung. Dabei sind die Rechten doch selbst schuld, wenn sie lieber in die Wirtschaft gehen anstatt sich als Journalist*innen beschimpfen zu lassen. - MF)
Anja Reschke: "Nein. Es war eine Sendung über die linken Radikalen."
Ludwig Briehl: "Über die linken Radikalen, okay."
(Herr Briehl ist etwas irritiert, dass sein Weltbild nicht mit den Fakten übereinstimmt. - MF)
Anja Reschke: "Ich versuche rauszufinden, was genau Sie aufregt, weil, wir sind ja der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Ich finde auch, wir werden nun von allen bezahlt, möchte man sich ja bemühen, dass die meisten Menschen auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gut finden oder zumindest ihn wichtig finden. Haben Sie den Anspruch, dass Sie alles, was Sie sehen, gut finden? Ist es Ihr Anspruch?"
Ludwig Briehl: "Ja, dafür zahle ich."
(Also das Fernsehprogramm soll allein Herrn Briehl gefallen und nicht den übrigen 38 Millionen Beitragszahler*innen. Höre ich hier schon wieder eine gewisse Herrenmenschenattitüde heraus? - MF)
Anja Reschke: "Alles. Das heißt, wenn etwas nicht ihrer Meinung entspricht, ist es nicht gut."
Ludwig Briehl: "Es geht nicht um eine Meinung. Ich würde mir wünschen, dass Panorama mal hingeht und mal die Grünen fragt: "Hey, wie ist denn das mit eurer Energiewende?" Ihr nagelt Euch fest, Energiewende ist toll, was Frau Merkel macht ist toll. Und die Wahrheit?"
(Also vorhin war noch der Vorwurf, Frau Reschke solle nicht "irgendwelche Meinungen beibringen" und jetzt soll sie die "Wahrheit" bringen, also genau das Gegenteil. Das ist die typisch rechte Denke, dass das was mir/der rechten Seite zusteht nicht dir/der linken Seite zusteht. Wir, die Rechten, sind ja eigentlich unpolitisch, d.h. wir stehen über den Niederungen der schmuddeligen versyphten Politik der Linken, wir vertreten die "Wahrheit" - ein Gedanke, der aber nur funktioniert, wenn mann von der Ungleichheit der Menschen ausgeht. - MF)
Anja Reschke: "Berichten wir nicht?"
Ludwig Briehl: "Berichtet ihr nicht. Das ist der Punkt. Die Fakten. Die ARD könnte zur Meinungsvielfalt beitragen, indem sie mal alle Fakten auf den Tisch legt."
(Ich bezweifle ernsthaft, dass Herr Briehl dies so meint wie er es sagt. "Alle Fakten" beinhaltet natürlich auch Fakten, die für die rechte Seite nachteilig sind. - MF)
Anja Reschke: "Und warum glauben Sie berichten wir nicht über die Fakten?"
Ludwig Briehl: "Weil es für die ARD nicht opportun ist, gegen Angela Merkel was zu schreiben,
(Blödsinn, die Rundfunkanstalten sind wenn schon dann von den Länderregierungen abhängig, wie gerade Sachsen-Anhalt demonstriert hat, nicht von der Bundeskanzlerin. Unabhängig davon, wie heißt es so schön "wer nichts macht macht auch keine Fehler", daher gibt es auch nichts wofür man die Bundeskanzlerin kritisieren könnte - außer für das Nichtstun. - MF) von Frau zu Frau tut man sich schwer, keine Ahnung."
Anja Reschke: "Die ARD besteht ja nicht nur aus Frauen."
Ludwig Briehl: "Aber aus Leuten, die offensichtlich nicht an der Politik von Angela Merkel rütteln wollen, weil, jeder Mensch mit klarem Verstand müsste erkennen, da läuft doch einiges schief, da läuft zu viel schief."
(Oh ja, es läuft viel zu viel schief in Deutschland, ich bezweifle aber dass ich mich mit Herrn Briehl darauf einigen könnte, was schief läuft. Unabhängig davon nervt diese Fixierung auf Frau Merkel, offenbar ist die Demokratie noch immer nicht in rechten Kreisen als legitime Staatsform akzeptiert, sie wollen lieber eine Autokratie so wie in Polen und Ungarn, wenn nicht sogar gleich eine Diktatur wie in Russland (aber nicht wie im Iran, weil falsche Religion). Dabei steht der Bundestag doch über der Regierung und könnte ihr gehörig in die Parade fahren. Aber die Abgeordneten der Regierungsparteien lassen sich ja regelmäßig, um den ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Karl-Heinz Hansen zu zitieren "zum Notariat der Exekutive degradieren". - MF)

1 Kommentar:

RYP hat gesagt…

Sehr gut, wie Frau Anja Reschke nachhakt! Das ist Journalismus pur! Im WDR5 gibt es auch so einen: Thomas Schaaf, der im Radio-Interwiev diesen wolkigen, andunlichen Schlemiel Brinkhaus mit seinen ablenkenden Antworten nicht davon kommen ließ. Marietta Slomka gehört genauso in diesen Reigen...
Danke für diesen erhellenden Beitrag!