21.2.10

Musikgruppe Wegwende/Freistatt


Gerade läuft wieder das Internetradio "Herbstradio", wo Andi von Berlin Beatet Bestes und Andi von Ostberlin Beatet Besseres die Sendung "Die Andi und Andi Show" jeden Dienstag von 21.00 bis 23.00 Uhr betreiben. Ich möchte mich noch mal noch mal herzlich bedanken, dass ich zu ihrer Sendung im November letzten Jahres etwas beitragen durfte, unter anderem diese EP von der Musikgruppe Wegwende/Freistatt, die ich ein paar Tage vorher gefunden hatte. Tatsächlich waren es 2 EPs, aber "Kannst Du mir nicht helfen?" ist der beste, bzw. einzig gute Titel darauf. Das wirklich Interessante ist aber der Kontext der Platte, denn die Mitglieder der Band kommen alle aus dem wie inzwischen ergoogelt habe berüchtigten Erziehungsheim Wegwende/Freistatt im tiefsten Nirgendwo zwischen Hannover, Bremen und Osnabrück, einsam und nur umgeben von Moor. Fast bin ich versucht zu vermuten, dass auch die Plattenproduktionen Teil der damals sadistischen Erziehungsmethoden waren, wegen all diesem christlichen Gesinge. Oder haben sich die Jugendlich das selbst ausgedacht? Übrigens finde ich die neuerliche Aufregung über die brutalen Erziehungsmethoden und die Ausbeutung der Jugendlichen gerade in kirchlichen Heimen bis in die 1970er Jahre hinein merkwürdig, hat doch schon 1970 Ulrike Meinhof das Problem in dem Dokumentarfilm "Bambule" aufgegriffen. Und hat die RAF nicht auch Teile ihrer Anhängerschaft aus diesem Milieu rekrutiert? Soll heißen, das war doch alles schon bekannt, hat aber damals keinen interessiert. Dafür haben die Eltern damals immer schön gedroht: "Wenn du nicht gehorchst kommst du ins Heim." (siehe auch "Heimkind" von den Cretins aus Hannover) Genauso wie es unter Hitler unter den Erwachsenen hieß "Halt den Mund sonst kommst du nach Dachau." Und fast könnte man vermuten, dass es eine historische Kontinuität zwischen Heimerziehung und Konzentrationslagern (nicht Vernichtungslagern) gab.

Musikgruppe Wegwende/Freistatt "Kannst Du mir nicht helfen"
von der EP "Kannst Du mir nicht helfen?"
Single MWF 101. o.J.
(download)

PS: Die letzte Andi und Andi Show war auch wieder klasse, sogar die Windhoek Karneval 1965-LP haben sie verbraten :-)

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Das "Bambule" Buch gibt einen wirklich interessanten Einblick in die kranke Welt der Heime der 60er Jahre. Das Buch "Ausschuß" - Protokolle und Berichte aus der Arbeit mit entflohenen Fürsorgezöglingen (Kiepenheuer & Wisch, 1970) ebenfalls: Drogen, Prostitution und jede Menge Juvenile Delinquency. Aber auch der perfide Apparat der Verwaltung des "Auschusses"wird eingehend beschrieben.

Tolles Lied übrigens, irgendwie beatig mit dieser Orgel, ham wir ja auch in der Sendung gespielt, in der du Gast warst. Und mit super Text:

"Ich bin 15 und ich heisse Klaus. Ja, meine Eltern, die wolln mich nicht zuhaus.

Ich möchte mich ja ändern, doch einer muss mir helfen. Ja, der eine der könntest du sein. Kannst du mir nicht helfen?"

Davon handeln "Bambule" und "Ausschuß" natürlich auch. Da haben sich ne ganze Menge junger idealistischer Leute, meist Studenten, damals mit ihrer Hilfe so einiges aufgebürdet.
Wahnsinn...

Heavy hat gesagt…

Habe diesen Bericht grade erst gefunden.
Ich war damals in Freistatt/Wegwende und Mitglied dieser Gruppe.
Nein - die Gruppe war einer der wenigen Sachen, zu denen wir NICHT gezwungen wurden.. Darum haben wir uns gerissen.
Lieber Sonntags in Kirchen auftreten als einen weiteren Tag in der Hölle verbringen - so wird ein Schuh daraus

martinf hat gesagt…

Danke für die Info! Ich habe 2 Singles von der Gruppe, gibt es noch mehr Veröffentlichungen?

Heavy hat gesagt…

Zu meiner Zeit gab es nur die eine Platte. Ob nach 1979 noch etwas erschienen ist, kann ich nicht beantworten.
Es gab noch Fernsehauftritte und Radiosendungen, von einem weiteren Tonträger weiss ich aber nichts.
Das müsste Peter Gossing wissen, der die Gruppe damals geleitet hat

Martin Mitchell hat gesagt…

"Und alle haben geschwiegen" --- Und jetzt, nach der Austrahlung dieses ZDF-FILMS am 04.03.2013? --- Alle werden wohl einfach weiter schweigen.

Ein ex-Freistätter ( 1963 „Haus Neuwerk“ ), Martin MITCHELL ( Jg. 1946 ) meldet sich zu Wort aus Australien, wo er seit dem 24. März 1964 ansässig ist.

Die am Ende des ZDF-SPIELFILMS "Und alle haben geschwiegen" von Paul (Matthias Habitch) erwähnte ZWANGSARBEITSSTÄTTE IM MOOR, das ev.-luth. Bethel-eigene FREISTATT IM WIETINGSMOOR – heute „Bethel im Norden“ genannt – wurde schon in dem im Jahre 1984 ausgestrahlten ZDF-SPIELFILM "Das Ende vom Anfang" wahrheitsgemäß und realitätsnah dargestellt und porträtiert, aber danach – weil derzeit von Bethel einfach abgestritten – einfach wieder zugebuddelt und vergessen, d.h. weiterhin totgeschwiegen.

"Und alle haben geschwiegen" --- Und jetzt, nach der Austrahlung dieses ZDF-FILMS am 04.03.2013? --- Alle werden wohl einfach weiter schweigen.