27.4.24

Geschichte wird gemacht

Barbara Hornberger "Geschichte wird gemacht. Die Neue Deutsche Welle. Eine Epoche deutscher Popmusik" (Verlag Königshausen & Neumann 2011)

Wieder einmal ist der Umschlag eines Buches irreführend. Thomas Schwebel und Peter Hain von Mittagspause in "Matrosenanzügen" (na ja, eher Kapitän oder Steuermann, aber die bunten Hemden passen nicht zur Seefahrt) 1979 in der Markhalle Hamburg auf dem Into The Future-Festval liegen zeitlich deutlich vor der NDW, auch vor dem Schisma zwischen Deutsch-Punk und Neuer Welle, wie es das Geräusche für die 80er-Festival markierte. Das passiert, wenn historische Fakten hinter Verkaufsinteressen zurücktreten.

Der Grund ein solches Buch als jemand, der diese Zeit selbst erlebt hat, zu lesen, ist z.B. die eigenen Erinnerungen mit denen anderer Menschen abzugleichen und gleichzeitig die eigene Verwirrung, was denn eigentlich die Neue Deutsche Welle ist/war, mit Hilfe wissenschaftlicher Deutungsversuche aufzulösen. Tatsächlich habe ich mich mal vor vielen Jahren an einer Definition der NDW versucht, die ihr hier nachlesen könnt. Die hatte ich ursprünglich für ein lange nicht mehr existierendes NDW Wiki geschrieben. (Warum schaffen es solche Projekte nie, nach dem Verschwinden der Gründer*innen weiterzuleben?) Interessanterweise kam keiner der damaligen anderen Autor*innen des Blogs auf die Idee, meinen Beitrag zu bearbeiten.

In meinem damaligen Text hatte ich versucht, die NDW anhand einiger Stilelemente von anderen Musikstilen abzugrenzen ("Einsatz von Synthesizern, Betonung des Rhythmus, exaltierten Gesang, dilettantische Spielweise, ironische Verwendung anderer Musikstile und Einsatz von Geräuschen und Lärm"), was vielleicht etwas oberflächlich ist. Auch die Definition unter https://all-about-music.fandom.com/de/wiki/Neue_Deutsche_Welle beschränkt sich auf wenige angeblich charakteristische Stilelemente (deutsche Sprache, häufige Rohheit und Kühle, Minimalismus). Ähnlich unergiebig ist die Wikipedia. Hinzu kommt, dass der Begriff eigentlich zwei verschiedene Musikbewegungen beschreibt (die sich wie alle anderen Musikstile natürlich überschneiden), zum einen die kurz nach dem Aufgreifen von Punk in (West)Deutschland entstandenen musikalischen Entgrenzungen, zum anderen die entstehende (west)deutsche Popmusik, die stilistische Inspirationen aus dem NDW-Untergrund aufgriff. (Seien wir ehrlich, vorher gab es nur Rock oder Schlager, von Ausnahmen wie die an den Phillysound angelehnten Produktionen von Marianne Rosenberg abgesehen.) Weshalb sich Frank Apunkt Scheider in seinem Werk "Als die Welt noch unterging" über die Versuche der Definition der NDW eher lustig macht.

Wie geht nun Frau Hornberger mit ihrem wissenschaftlichen Instrumentarium an das Thema heran? Sie geht davon aus, dass sich die NDW nur aus einer Gesamtschau von ökonomischer, historischer, musikalischer und kulturgeschichtlicher Perspektive beschreiben lässt. (Wobei meines Erachtens die gesellschaftspolitische Perspektive, ich sage nur "bleierne Zeit", mit dazugehört.)

Dass deutsche Texte ein wesentliches Merkmal der NDW sind/waren, ist wohl unstrittig. Englische Texte waren bei den frühen deutschen Punkbands wie den Razors noch akzeptabel, da ja auch die Musik sehr an die angloamerikanischen Vorbilder angelehnt war. In der NDW waren englische Texte aber ein No-Go, weshalb z.B. eine musikalisch durchaus typische Band wie die Fred Banana Combo in der NDW-Historie fast nicht auftaucht. Der Grund für deutsche Texte liegt meines Erachtens in dem Wunsch nach Abgrenzung zu der Verwendung englischer Texte in der älteren Musiker*innen-Generation, die allgemein als Krautrock beschrieben wird (oft ironisch gerechtfertigt als "Wir wollen auch in Finnland verstanden werden", was angesichts dürftiger PA-Anlagen Blödsinn war). Waren der englische Gesang der Krautrocker*innen zusammen mit ihrer Musik, insbesondere auch dem Einsatz von elektronischen Instrumenten, im Kern eine bewusste Abgrenzung zur Schlagerkultur der damaligen Elterngeneration, die alle langhaarigen Jugendlichen (Gammler!) in Arbeitslager schicken wollte (später war diesen Menschen das kurze bunte Haar der Punks genauso zuwider), so war der deutsche Gesang der NDW-Bands m.E. eine ebensolche bewusste Abgrenzung gegenüber den Krautrocker*innen. Zwar gab es unter diesen auch welche mit deutschen Texten, diese waren aber zumeist politisch motiviert (von Ton Steine Scherben bis Franz K.), damit ihr Publikum auch die jeweilige Message verstehen konnte. Agitatorische Texte waren aber kein Merkmal der NDW. Und dann gab es noch Kraftwerk, die textlich durchaus als NDW-Band gelten könnten. Denn der entscheidende Unterschied der NDW-Bands zu den Schlagersänger*innen war neben der Art des Gesangsvortrags die inhaltliche Thematik ihrer Songs. Dort wo die Texte äußerlich der Schlagerkultur ähnelten, sorgten Naivität, Provokation, Satire und ähnliches für eine erkennbare Abgrenzung, oder auch nur die Art des Gesangsvortrags wie bei Trio und Hubert Kah, oder auch eine Bezugnahme auf die Schlagerkultur vor der Machtergreifung der Nazis (etwas, was der deutschen Schlager konsequent vermied). Insofern lässt sich Nena klar von der NDW abgrenzen, denn ihre Liebeslieder wie „Nur geträumt“ waren immer ernst gemeint ohne eine Spur von Subversion. Nena ist nicht NDW, sondern deutscher Schlager-Pop. So wie z.B. UKW, Ace Cats, Spider Murphy Gang, Relax ...

Musikalisch ist eine Typisierung der NDW deutlich schwieriger, gerade bei dem Einsatz elektronischer Instrumente ist teilweise eine gewisse Ähnlichkeit in den Ergebnissen zu der Musik der Krautrocker*innen zu entdecken. Auch muss man wohl hier grundsätzlich von einer Abgrenzung zu den Stilmitteln von Krautrock und Schlager ausgehen, ansonsten war so ziemlich alles erlaubt. Ebenso wird oft die Frage gestellt, ob Musiker*innen, die bereits eine musikalische Geschichte vor der NDW aufzuweisen hatten, trotz der passenden Texte tatsächlich musikalisch zur NDW gehören, wie z.B. Trio, Ideal oder auch Weltschmertz (ein Projekt unter Beteiligung von Achim Reichel und Frank Dostal von Wonderland, die 1968 den deutschen Psychedelic-Hit "Moscow" veröffentlichten). Aber wie englische Punks früher oft Bowie-Fans waren, so haben auch die Musiker*innen der Untergrund-NDW eine musikalische Sozialisation vor Punk erfahren. So wird der Fehlfarben-Gitarrist Thomas Schwebel (ich glaube bei Teipel) mit der Aussage zitiert, dass er die mit dem Entdecken von Punk verkauften Chic-LPs später erneut gekauft habe, ein Einfluss, der auf der sträflich übersehenen dritten Fehlfarben-LP „Glut und Asche“ von 1983 deutlich zu hören ist. Musikalisch ist das eigentlich schon (guter) deutscher Pop. Letztendlich liegt es am jeweiligen persönlichen Geschmack oder eigenen ideologischen Präferenzen zu entscheiden, was Punk, Untergrund-NDW, Mainstream-NDW oder nichts von alledem ist. Mag das jeder für Extrabreit, Markus oder Geier Sturzflug selbst entscheiden.

PS: Ich befürchte ich habe weniger über Hornbergers Buch geschrieben als über meine eigenen Gedanken, daher hier noch ein Link zu einer anderen Rezension.

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