12.8.11

Punk und Nina Hagen – ein Missverständnis

Vor kurzem hat die Hannoversche Allgemeine Zeitung auf der Kulturseite einen kleinen Text zu einem Auftritt von Nina Hagen bei arte veröffentlicht. Dort hatte diese behauptet, der erste Punk sei nicht Joey Ramone, sondern Pippi Langstrumpf gewesen. Unabhängig von der Frage, warum Oma Hagen Joey Ramone und nicht Johnny, Tommy oder DeeDee erwähnt, geschweige denn Richard Hell, dem Malcolm McLaren den Punk-Look geklaut haben soll, oder gar Johnny Rotten, ohne den die Sex Pistols nur eine weitere Small Faces-Coverband geblieben wären und nie zum Kulminationspunkt der englischen Punkszene hätten werden können, ohne die die New Yorker Bands nie ein größeres Publikum gefunden hätten, ist der erste Punk natürlich Till Eulenspiegel. Behaupte ich jetzt einfach mal so. Das ist natürlich genauso kompletter Blödsinn, denn Pippi ist Jahrgang 1932, und als ihre Taten das erste Mal literarisch niedergeschrieben wurden lag die Entstehung von Punk noch 35 Jahre in der Zukunft, und das erste Buch über Till ist noch mal 430 Jahre älter. Aber der Blödsinn passt in eine Zeit, wo der altbackene Rolling Stone auf die Idee kommt, die angeblich 50 wichtigsten Punk-Platten aufzulisten und dabei bei den Sonics 1965 anfängt. SCHWACHSINN! Punk als Bewegung entstand definitiv 1976 in London, wenn auch musikalisch stark inspiriert von New York (und auch der Name Punk stammt ja von dem gleichnamigen New Yorker Fanzine, das erstmals im Januar 1976 erschien). Aber ohne die kulturelle und soziale Krise Englands zu diesem Zeitpunkt ist das Phänomen Punk einfach nicht denkbar. Natürlich bieten sich Parallelen zu früheren kulturellen Bewegungen an (Dada, Situationismus, Garage-Punk, was weiß ich), aber die Übereinstimmung ist ja nie total und denen nachträglich das Etikett Punk zu verpassen ist genauso geschichtsverfälschend wie jetzt alle möglichen Bands ab 1977, die nicht wie die Ramons oder Sex Pistols klangen, in die Schublade Post-Punk zu stecken, die ja auch erst erfunden wurde, als es schick wurde, jeden Schwachsinn als postmodern zu entschuldigen.
Dass Oma Hagen an gleiche Stelle Jesus als König der Punks bezeichnet ist da nur noch Nebensache. Sie mag ja an Gott glauben so viel sie will, aber Punk und Religion geht nun gar nicht zusammen. Ist also auch wieder nur ein Versuch, sich seine eigene Vergangenheit zurecht zu lügen? Oder ist es gar missionarischer Eifer? Bekanntermaßen sind ja Konvertiten die schlimmsten Gläubigen, weil ihnen das laissez-faire eines Glaubenssystems, mit dem man aufgewachsen ist, fehlt und sie mit Dogmatismus für die angeblichen Fehler ihrer Vergangenheit büßen wollen. (Was nebenbei vermutlich auch eine Triebfeder der ganzen islamistischen Schwachmaten ist.)
Und ob Nina Hagen überhaupt ein (Alt-)Punk ist sollte man auch noch mal diskutieren, schließlich war ihre Nina Hagen-Band eine Ansammlung alter Polit- und Jazz-Rocker, die keinen geraden Takt spielen konnten, wie eindrucksvoll das Stück "Pank" von der ersten LP demonstriert. Dann doch lieber Marianne Rosenberg, die mit ihrer Schlagerkarriere brach und in den Dunstkreis von Rio Reiser, Max Goldt und Blixa Bargeld gelangte.

1 Kommentar:

franz hat gesagt…

yeah. judas hat den punk erfunden. was die hagen betrifft, die war eine knallcharge mit rundflugticket. wer die zu den slits in den proberaum gelassen hat, möcht ich gern wissen.von da aus stimmt pippi langstrumpf, - wenn auch rein äusserlich. ein musikhistorischer dna-test würde sie doch eher in die nähe von strassenjungs, big balls und klaus nomi rücken. vielleicht fordert die frauenbewegung ja ihren teil, indem sie nina hagen unbedingt an punk beteiligt sehen möchte? vielleicht war das relativer punk. kommt halt drauf an, von wo aus es betrachtet wird. in der villa kunterbunt gab es schliesslich auch schon ein radio. alles ist möglich. toyota.