30.5.09

Alles nur geträumt

Hollow Skai
"Alles nur geträumt - Fluch und Segen der neuen Deutschen Welle"


Nachdem ich die Diskussion im Rondo-Blog über dieses Buch gelesen hatte ging ich mit eher gemischten Gefühlen an die Lektüre. Also legte ich mir einen Notizzettel an für sachliche Fehler wie z.B. die Behauptung, dass Herr Skai die Platten des No Fun-Labels "produziert" hätte. Das wäre mir neu, dass er irgendwelchen Einfluß im Studio auf die Aufnahmen genommen hätte. Die einzige mir vom Lesen bekannte musikalische Leistung Hollows ist eine Proberaum-Session mit Hans-a-Plast namens "I need Atomstrom". Falsch ist es auch, Propaganda als Nachfolgeband von Male zu bezeichnen, da gibt es nämlich keine personellen Überscheidungen, und "Da vorne steht 'ne Ampel" von Der Plan ist nicht Teil seiner "Normalette Surprise"-Mini-LP. Auf Seite 62 steht, die Düsseldorfer Krautpunker hätten sehr schnell für sich den Moog-Synthesizer entdeckt, aber der gehört eigentlich auf eine ganz andere musikalischen Baustelle, es dürfte eher der Korg gewesen sein. Und es dürfte auch nicht die Dorau-LP "Die Doraus und die Marinas geben offenherzige Antworten auf brennende Fragen" gewesen sein, die auf S.192 angeblich Rip Off das Genick brach, weil die erschien auf CBS und wurde dort bekanntermaßen nicht promotet, um den Erfolg von Markus nicht zu beeinträchtigen. (Das Thema, dass so manche Band auch nur als reines Steuerabschreibungsobjekt eingekauft wurden taucht übrigens nicht im Buch auf.) Irgendwo sind auch noch die Logos von Ink Records und Rock-o-Rama abgebildet, ohne dass irgendein Zusammenhang zum Text erkennbar ist. Überhaupt ist das Schriftbild meines Erachtens viel zu großzügig und das Layout langweilig. (So etwas wie in der Erstausgabe von "Punk - Versuch der künstlerischen Realisierung eine neuen Lebenshaltung" wäre angemessener gewesen.) Das alles hätte wohl auch in einem Taschenbuch Typ rororo von 180 Seiten Platz gehabt. Und der Umschlag rechtfertigt leider auch den Slogen "Sure you can judge a book by its cover". Ach ja, über die Diskografie hüllen wir lieber den Mantel des Schweigens.


Hollow Skai war mal ein Idol für mich, damals, als ich - im übertragenen Sinne - ein pickliger Gymnasiast war, sein Fanzine No Fun war immer ein Hochgenuss. Klar habe ich damals auch "Punk - Versuch der künstlerischen Realisierung eine neuen Lebenshaltung" verschlungen, ob ich alles verstanden habe wage ich zu bezweifeln, aber ich werde mich noch mal ransetzen. (Allerdings ist der Reprint vom Archiv der Jugendkulturen auf den ersten Blick enttäuschend, denn erstens schweineteuer und zweitens entgegen der Ankündigung nur zu 10% aus neuen Texten bestehend. Zudem hat das Konzept, den auf der rechten Seite reproduzierten und sehr gut lesbaren Seiten des Original links einfach den gleichen Text noch mal sauber gesetzt gegenüber zu stellen etwas von Papierverschwendung. Da hätte man durchaus auch noch eine saubere englische Übersetzung unterbringen können, denn wenn Hollow lange vor Greil Marcus die Verbindung zwischen Punk und Dada/Situationismus zieht, dann wäre das sicher auch außerhalb des deutschsprachigen Raums interessant.) Skai - oder auch Holger Postscheck, wie er manchmal genannt wurde - wurde Chefredakteur beim hannoverschen Stadtmagazin Schädelspalter und ging dann wie viele anderen Hannoveraner nach Hamburg. Dass er aber für den Stern schrieb fand ich etwas merkwürdig, ist doch das Magazin nicht gerade für qualitätsvolle Musikberichterstattung bekannt. Aber wer bin ich, über ökonomische Lebenswegentscheidungen zu urteilen. Nur als ich dann eine von Skai verfasste Scorpions-Biografie entdeckte war sein Image bei mir etwas angekratzt. Leider ist das vorliegende Buch nicht wirklich geeignet, es zu verbessern. Es ist in dieser meines Erachtens typischen Magazinschreibe verfasst, mit knalligen Formulierungen, vielen Zitaten und angeblich wichtigen entlarvenden Hintergrundinformationen, zudem in Textabschnitte unterteilt, die nur bedingt aufeinander Bezug nehmen. So taucht die Information, dass einer der Autoren des Taschenbuchs "Neue deutsche Welle - Kunst oder Mode?" (Ullstein Sachbuch, 1984, steht bei mir seit 20 Jahren ungelesen herum) heute Vorstandsvorsitzender des Axel Springer-Konzerns ist, mindestens 3x auf, und wenn in Zusammenhang mit Blixa Bargelds Stimme das Wort "infernalisch" fällt fühle ich mich an drittklassigen desinteressierten Lokaljournalismus erinnert. Aber eine gewisse Arroganz war ja schon immer ein Wesenszug von Herrn Skai. Der Text ist (zeitlich) sprunghaft und von Anekdoten durchsetzt, die wohl nicht immer der Realität entsprechen. Okay, man kann nicht alles nachrecherchieren (Ich erinnere mich daran, dass sich Skai anlässlich seiner Rio Reiser-Biografie beklagte, dass ihm der Verlag nur Interviews mit 10 Leuten finanziert habe, während Charles Shaar Murray für seine Hendrix-Bio über 100 Interviews führen jkonnte.), aber dann soll man sich nicht hinterher über Richtigstellungen beschweren. (Z.B. hat er auch nicht mitgekriegt, warum mich Bärchen damals geohrfeigt hat, weil sie nicht wollte, dass ich aus der Band aussteige - obwohl über den Vorwurf der Diva werde ich noch mal nachdenken.) Insgesamt erweckt das Buch den Eindruck, als ob Skai nicht wirklich eine zwingende Idee verfolgt hat außer eben Anekdoten und verstreute Informationen aneinander zu reihen. Über die sozialen Rahmenbedingungen, die das Übergreifen von Punk auf Deutschland ermöglichten, erfährt man wenig, der Einfluss des "deutschen Herbstes" wird kaum erwähnt, die Spaltung von Punk in ndW und Deutschpunk wird übergangen und dass HipHop und Techno zum Teil die Fortsetzung von Punk mit anderen Mitteln waren wird komplett ignoriert, dafür aber Überflüssiges über Tocotronic (deren Wurzeln im amerikanischen Indierock wie z.B. Dinosaur Jr. liegen), Wir Sind Helden, Silbermond und Juli (hey, nichts über Christiane Stürmer?). Insgesamt ist das Buch eine vertane Chance. (Wie man es besser machen kann zeigt z.B. Phil Strongman mit "Pretty Vacant - A History Of Punk", obwohl auch ihm Fehler unterlaufen wie dass angeblich "Should I Stay Or Should I Go" Teil des Sandinista-Album von The Clash sei.)


PS: Mich würde interessieren, welche No Fun-Schallplatten Hollow Skai im Nachhinein lieber nicht veröffentlich hätte. Unterrock? Phosphor? Index Sign? Den "NaNa-Reggae"? Crazy Baby Doc? Bettina Schröder?


(Dieser Text entstand unter Einfluß einiger Prefab Sprout-Maxis, sowie der LP des New Jazz Trios Maloo, aufgenommen von Reinhold Heil in der TonCoop Hannover 1977, und wurde korrekturgelesen mit Hilfe von Voqa Kei Turakis "The lure of Fiji".)

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

eine kleine anmerkung: greil marcus' parallele von punk und dadaismus kam nicht erst mit seinem buch "lipstick traces" zustande (nachzulesen in "ranters and crowd pleasers" / dt. "im faschistischen badezimmer", artikel von 1977-94); im übrigen hat z. b. isabelle anscombe schon 1978 so eine parallele gezogen (nachzulesen im selben buch; dt. ausg. s. 223). über hollow skai kann ich gar nix sagen, und das buch interessiert mich nach deiner rezension auch nicht die bohne. ;)

Richard Gleim hat gesagt…

Ich bin bisher nur bis zur Hälfte des Buchs vorgedrungen und ich weiß nicht, ob ich mir Weiteres antun werde. Nicht erträglich. Anekdoten und Persiflage ungeordnet aneinander gereiht. Übel.

franz hat gesagt…

hey ho, let's go! klasse rezension, ist von unschätzbarem vorteil, wenn man sich genau auskennt, um die herkunft des widerlichen aromas dieses machwerks einer geltungssüchtigen schmeissfliege genauer zu lokalisieren!

martinf hat gesagt…

Es ist zwar nicht meine Absicht, Herrn Postscheck ans Bein zu pissen, aber wenn er in seinem Blog ständig alle positiven Besprechungen zitiert oder mit launigen Bemerkungen kommentiert, sich an Promotexten aufgeilt und mich mit Veranstaltungshinweisen (ohne Ortsangabe!) zuspamt möchte ich zu Ausgleich her einfach mal den Verriss seines Buches aus dem Magazin Westzeit verlinken.