Am 29.11,2025 gab es in der Cumberlandschen Bühne im Schauspielhaus Hannover in der Reihe "Der fröhliche Widerstand" das Thema Chaostage. Im Nachhinein muß ich sagen, dass ich mit völlig falschen Erwartungen dort hingegangen bin, da Skai und Abelmann ihre Teilnahme dort als Teil der Promotion ihres Buches angekündigt hatten. Sie waren aber nur Staffage und Stichwortgeber. Als die Frage an Skai gerichtet wurde, wie denn Punk nach Hannover kam, und er antwortete, dass im Februar 1977 die Vibrators in der Glocksee aufgetreten seien, stürzte mein Verstand ab. Ein Funke mag ein Feuer auslösen, aber nur wenn es Brennstoff gibt. Ohne den Wunsch der damaligen Jugend nach etwas Neuem, dass ihrem Lebensgefühl Ausdruck verleiht, wäre der Auftritt der Vibrators sang- und klanglos in der Rock’n’Roll-Geschichte untergegangen. Und vielleicht ist er das auch, weil die Punk-Szene in Hannover sich ja langsam entwickelte und erst 1979 einen Ausdruck fand, der über das Private hinaus fand.
Auch sonst war diese Veranstaltung konfus, was ja schon damit begann, dass neben der "Zeitzeugin" (die 1984 nicht bei den Chaostagen, sondern im Kreissaal war) Annette Benjamin ein gewisser Don L. Gaspár Ali Gesprächspartner war, ein Kölner, geboren 1997, der also zeitlich (und räumlich) keine Verbindung zu den Chaostagen hatte – unabhängig davon, dass sich die Chaostage der 1980er Jahren nicht mit denen der 1990er Jahre vergleichen lassen. Auch wenn Gaspár Ali Sänger der Band Grenzkontrolle ist (die schon in der Carolin Kebekus-Show aufgetreten sind) glaube ich nicht, dass er zum Thema Punk aussagefähig ist, denn Punk von heute ist nicht der Punk der 1990er oder 1980er Jahre oder von seinen Anfängen, allein weil sich die Gesellschaft seit damals so sehr verändert hat, dass ein "widerständiges Verhalten" heute ganz anders aussieht als es damals sich ausdrückte – falls man Punk überhaupt auf den Begriff Widerstand reduzieren kann, bzw. sollte. Zur weiteren Konfusion trugen auch die beiden Moderator*innen mit ihren Fragen bei, so dass nie erkennbar war, was eigentlich das Ziel dieser Veranstaltung war.
Zwei Punkte möchte ich noch kurz ansprechen, und zwar hat Gaspár Ali zu Beginn der Veranstaltung ein paar Gedichte vorgetragen, in denen u.a. von Völkermord und seinen Gefühlen für die Kinder von Gaza die Rede war. Im Publikum waren Geräusche zu hören, als ob eine oder mehrere Personen daraufhin die Veranstaltung verließen. Später kam Gaspár Ali darauf zurück und fand es gut, dass auf Grund seiner Stellungnahme Leute gegangen seien. Ohne jetzt das Thema Israel/Gaza ausdiskutieren zu wollen kriege ich aber immer das Kotzen, wenn Musiker*innen den Überfall auf das Nova-Festival am 7. Oktober 2023 ignorieren. Weil dieser Überfall war nicht nur ein Attentat auf Menschen, die von den Angreifern als jüdisch gelesen wurden, sondern auch ein Angriff auf Musik an sich, ein Teil einer langen Tradition des Kampfes von Islamisten gegen Musik als Ausdruck menschlicher Freude (Taliban, Algerien, Iran usw.).
Am Schluss der Veranstaltung hat Benjamin von ihrer Teilnahme an der Buchpräsentation "Tanz auf dem Vulkan" erzählt, die von den Erfahrungen weiblicher Punks in der DDR erzählt. Ich persönlich bin ja etwas von den vielen Publikationen zu Punk in der DDR genervt. Das hat zum einen damit zu tun, dass es keine adäquaten "Heldengeschichten" aus Westdeutschland gibt (geben kann), denn hier gab es keine Diktatur und Stasi, sondern nur alte Opas und Omas, die einem hinterherriefen "Unter Adolf hätte es das nicht gegeben" und "Euch hat man wohl vergessen zu vergasen" – die Sprüche gab es sicher auch jenseits der Mauer. In der BRD ist niemand für bunte Haare und provokante Songtexte in den Knast gegangen, worüber wir eigentlich froh sein sollten, aber daraus lassen sich eben keine "Heldenerzählungen" konstruieren, auch wenn das jetzt zynisch gegenüber den Erfahrungen jenseits der Mauer klingt. Wie gesagt, langsam ist es jetzt genug mit dem Thema Widerstand in der DDR, ich möchte endlich mal eine vernünftige Aufarbeitung von Punk in Westdeutschland lesen und nicht nur die Erinnerungen von alten weißen Männern oder den woken Fanatismus der heutigen Kids. Dann fiel aber das Stichwort Jugendwerkhof und ich erinnerte mich an frühere Fernsehberichte zu dem Thema, wo es auch um die Einweisung von Mädchen wegen "sexueller Verwahrlosung" und "Triebhaftigkeit" ging, so dass mir klar wurde, dass es in dem Buch auch um sexuelle Erniedrigung von (nicht nur) Punk-Frauen durch die SED-Diktatur geht.
[Schweigen]
PS: Die aktuelle Single der Benjamins ist übrigen ziemlich gut und viel interessanter als die Youtube-Videos von Grenzkontrolle.

