20.9.23

Wie Mann sich um Kopf und Kragen redet

Jann S. Wenn war der Gründer und lange Jahre Herausgeber der amerikanischen Musikzeitschrift ROLLING STONE. Er hat gerade ein Buch mit seinen Interviews mit Bono, Bob Dylan, Jerry Garcia, Mick Jagger, John Lennon, Pete Townshend und Bruce Springsteen unter dem Titel "The Masters" herausgebracht und dazu ein Interview der New York Times gegeben. Als Folge dieses Interviews erlebt er einen Scheißetornado und hat seinen Posten bei der ROCK & ROLL HALL OF FAME verloren. Die aktuelle Redaktion des ROLLING STONE distanzierte sich von Wenner.

Ausgangspunkt der Kritik war Wenners Erklärung, warum nur alte weiße Männer in dem Buch auftauchen. Liest man das Interview so wird klar, dass es sich bei den Interviewpartnern um Freunde handelt und Wenner eher freundliche Unterhaltungen mit ihnen führte anstatt konfrontativer Interviews. Dass in diesem Vertrauensverhältnis durchaus interessante Aussagen zu Stande kommen belegt das Interview mit Lennon von 1970, in dem dieser seine Abkehr von den Beatles sehr deutlich zum Ausdruck bringt. Dass Wenner die ausgewählten Interviews für seine besten hält, sei ihm unbenommen. Dass weder Frauen noch farbige Künstler*innen in der Auswahl auftauchen mag vielleicht daran liegen, dass diese nicht zu seinem Freundeskreis gehörten und daher Interviews mit ihnen nie den gewünschten intimen Charakter hatten. Oder sie ihm nicht das gaben, was er in den Interviews gesucht hat, zum Beispiel eine Erfahrungswelt, an die er Anschluss finden konnte. Wenn man merkt, dass der Gegenüber nicht offen ist für die eigenen Gedanken, dann öffnet man sich eher nicht, schweigt, spricht aneinander vorbei, es entsteht kein Vertrauensverhältnis. Was nun auch nicht unbedingt für Wenner als Interviewer spricht, but those were the days. Jeder lebt in seiner eigenen Welt und vielleicht wird man mit dem Alter klüger und sieht seine Versäumnisse ein, macht also nicht den Aiwanger. Was dann auch okay ist. Fehler und Versäumnisse kann man ja zugeben. Später, wenn es nicht mehr so weh tut (man muss es ja nicht so machen wie Elvis Costello, der sich zwanzig Jahre später nicht traute Ray Charles die Hand zu geben).

Dummerweise erklärt Wenner das Fehlen von Frauen und farbige Künstler*innen in der Interviewsammlung damit diese seien "not articulate enough on an intellectual level". Die ausgewählten Interviewpartner seien "philosophers of rock ’n’ roll". "They [said] deep things about a particular generation, a particular spirit and a particular attitude about rock ’n’ roll. Not that the others weren’t, but these were the ones that could really articulate it". Wie bereits vermutet hat Wenner in den Interviews bestimmte Aussagen gesucht und die haben ihm Frauen und farbige Künstler*innen eben nicht geliefert. Weil sie eben andere Erfahrungen gemacht haben und daher andere Ansichten geäußert haben, die Wenner entweder – positiv ausgedrückt – nicht gehört hat oder – negativ ausgedrückt – nicht hören wollte. Die "Schuld" für dieses eigene Versagen bei den Interviewpartner*innen zu suchen ist eigentlich eine Unverschämtheit. Also ob die Künstler*innen für das Versagen des Interviewers verantwortlich seien. (Eigentlich sollten Künstler*innen für Interviews bezahlt werden, denn schließlich leisten sie entsprechende Arbeit, um Rohmaterial für die Autor*innen zu liefern. Ohne die Mitwirkung bei Interviews kein Zeilenhonorar.) Getoppt wird das ganze noch von der Überlegung von Wenner, er hätte einfach ein nicht ganz so gutes Interview mit einem farbigen Künstler in die Sammlung aufnehmen sollen, um diese Art von Kritik abzuwenden.
Jann S. Wenner hat sich seinen Scheißetornado redlich verdient.

Keine Kommentare: