21.4.22

Björn Fischer: Rock-O-Rama. Als die deutschen kamen (Hirnkost 2022)

Rock-O-Rama, bzw. sein Betreiber Herbert Egoldt sind ein heißes Thema in der deutschen Punkszene, stehen doch am Anfang des Labels einige Deutschpunk-Klassiker und legendärer Finnen-Krach, sowie an seinem Ende jede Menge Nazi-Schrott. War Herbert Egoldt ein Nazi oder nur ein zynischer Geschäftsmann, wir werden es nie erfahren. Jedenfalls ist es ehrenwert sich mal tiefer mit der Labelgeschichte jenseits aller Nazi-Verurteilungen zu beschäftigen, zudem ist der Autor Björn Fischer als ehemaliger Plastic Bomb-Autor und Schlagzeuger in zahlreichen Hannoveraner Punkkapellen jenseits des Verdachts irgendwie mit Egoldts Wirken zu sympathisieren (allerdings spart er selbst mit Bewertungen, ob die einzelnen Veröffentlichungen hörenswert sind oder nicht).

Bevor ich das Buch gelesen habe hatte ich ein Telefongespräch mit dem Herausgeber eines bekannten deutschen Fanzines, dem das Buch eher weniger gefiel, einmal wegen der Gestaltung, zum anderen wegen dem eher nüchternen Inhalt (zu wenig schmutzige Wäsche). An der Kritik ist vieles dran, aber ich bin mir nicht sicher ob mensch das Buch hätte anders machen können. Denn über Egoldt ist nicht viel bekannt, es gibt kaum Fotos von ihm, die Erzählungen der Musiker (Musikerinnen tauchen in dem Buch fast überhaupt nicht auf) beschränken sich auf Begegnungen in seinem Plattenladen und geringe geschäftliche Kontakte, sowie seltene Anwesenheiten bei Studioaufnahmen. Ich weiß nicht ob Björn Fischer versucht hat mit der Familie Egoldt Kontakt aufzunehmen, aber da diese nach dem Tod von Herbert Egoldt mit Rock-O-Rama nichts zu tun haben wollte nehme ich an dass ein Kontakt von Seiten der Familie auch nicht erwünscht war.

Optisch ist das Buch eine Enttäuschung, angesichts des Preises hätte mensch zumindest einige farbige Abbildungen von LP-Covern erwarten können. Zahlreiche Abbildungen sind unscharf und zum Teil schlecht leserlich was möglicherweise an dem verwendeten Papier liegt. Eventuell ist das Buch hier Opfer der aktuellen Papierkrise im deutschen Buchhandel geworden.

Unglücklich sind auch die Kapitel zu den einzelnen Punk-Veröffentlichungen, diese Zerstückelung stört doch den Lesefluss erheblich, insbesondere wenn es sich um Kapellen mit mehreren Veröffentlichungen handelt und so die jeweilige Bandhistorie nur etappenweise aufgedröselt wird. Andererseits wäre z.B. bei den Veröffentlichungen aus Finnland ein gelegentlicher Blick über den Tellerrand nett gewesen wenn der Autor die unterschiedlichen Cover von Original-Pressungen und Rock-O-Rama-VÖs gegenüber gestellt hätte, um Egoldts Einflussnahme zu dokumentieren.

In der zweiten Hälfte, wo es um den Nazi-Kram geht, ist der Lesefluss deutlich angenehmer, wird nicht durch einzelne Plattenbeschreibungen unterbrochen, nur die erste Böhse Onkelz-LP kriegt eine gesonderte Erwähnung. So etwas hätte ich mir auch für den ersten Teil des Buchs gewünscht, die einzelnen Bandgeschichten hätte der Autor auch in Exkurse auslagern können.

Am Ende des Buches tauchen zahlreiche Statements von Personen auf, mit denen Björn Fischer wegen dem Buch offenbar in Kontakt war, allerdings erscheinen mir nicht alle wirklich relevant zu sein, auch wird teilweise nicht deutlich, in welcher Beziehung sie zu Rock-O-Rama standen. auch wenn es sich um Zeitzeugen handelt. Die Düsseldorfer haben damals ja auf Köln eher herabgesehen, weshalb sie kaum etwas zum Thema beitragen können. (Mein Lieblingsstatement stammt übrigens von Wixer von den Boskops, besonders wegen der Schlusspointe.) Das wäre übrigens ein guter Anlass gewesen, ein bisschen tiefer in das damalige Punkgeschehen und das Verhältnis der verschiedenen Labels, bzw. die Position von Rock-O-Rama in der gesamten Szene einzusteigen. In diesem Zusammenhang stellt sich mir zudem die Frage, ob die LP "Zensur & Zensur" von Male, finanziert vom Düsseldorfer Rock On-Plattenladen, eventuell eine Inspiration für Egoldt war, sich ebenfalls in dieser Richtung zu versuchen anstatt nur alte Rockabilly-Aufnahmen neu aufzulegen.

Die Discografie ist relativ umfangreich und listet auch den ganzen Nazi-Kram auf, merkwürdigerweise fehlt aber das Label Big-H mit den Rockabilly-Samplern aus der Zeit vor den Punk-Platten, was übrigens zeigt dass Egoldt im Gegensatz zu Alfred Hilsberg, Karl Walterbach und anderen kein Neuling im Plattengeschäft war. Die Veröffentlichungen seines New Wave-Sublabels First Floor Records (They Must Be Russians, Saigon, Release The Bats und Above The Ruins) muss ich mir übrigens mal genauer ansehen...

PS: Auf Seite 338 ist ein peinlicher Übersetzungsfehler: laut Fußnote 149 wird das Originalzitat "McLellan later accused the label (...) of putting the national cause in the background over financial interests" im deutschen Text fälschlich wiedergegeben als "(…) die nationale Sache über finanzielle Interessen zu stellen".

Siehe auch:
TAZ vom 26.4.2022: "Angenehme Unterhaltung mit Herbert"
Underdog Fanzine
Interview bei Steeltown Records
Die Amazon-Kundenrezensionen findet ihr auch ohne meine Hilfe, ne?

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

der anonymus kann aus eigener wahrnehmung bekunden, dass E. in geschäftlichen angelegenheiten durchaus mit harten bandagen gekämpft hat. habe ihn mal vor rund 20 jahren als anwalt eines kleinen Plattenladenbetreibers auf Rückzahlung der Mietkaution verklagt. der hat im prozess buchstäblich alles bestreiten lassen und erst ein paar tage vor dem termin der zwangsvollstreckung gezahlt. erinnere mich besonders an ein vorgerichtliches telefonat mit E., bei dem er sich als veritabler "kraat" outete, to say the least. bin - jedenfalls beruflich - selten so am telefon angepöbelt worden. da musste ich tatsächlich erst einmal ganz tief luft holen, um bei meiner replik nicht vollends gegen das sachlichkeitsgebot zu verstoßen, hähähä....

aber die Sachen von OHL und den Alliierten höre ich hin und wieder noch gern und wer weiß, ob ich das könnte, hätte es E nicht gegeben....

anonymus no. 2

martinf hat gesagt…

Für alle Nicht-Kölner: "Kraat" = eine der Unterschicht zugeordnete, zänkische Person ohne Benimm, situationsabhängig als regionales Schimpfwort gebraucht oder liebevoll positiv / anerkennend konnotiert

Anonym hat gesagt…

in diesem fall als schimpfwort......

ano 2