13.11.22

Volksgesetzgebung für Niedersachsen

Nachfolgend ein Auszug aus der Petition der Bürgerinitiative »Volksgesetzgebung für Niedersachsen« an den niedersächsischen Landtag vom 14.11.1990. Beim Durchlesen dieses historischen Dokuments fiel mir auf wie viel von der Begründung heute mehr denn je aktuell ist:

Begründung der Petition

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete des niedersächsischen Landtagesl

Wenn am 1. Mai 1991 das Inkrafttreten unserer vorläufigen niedersächsischen Verfassung sich zum vierzigsten Male jährt, wird eine Zeit der Festtagsreden und Feierstunden, in denen die Vergangenheit gewürdigt und die Zukunft beschworen werden wird, ihren Höhepunkt erreichen. Doch die zukünftige Ordnung unseres Gemeinwesens liegt jetzt und ganz konkret in unser aller Hände, da anläßlich der Vollendung der deutschen Einheit unsere vorläufige Verfassung sich gemäß ihres letzten Absatzes außer Kraft setzen wird. Dies ist eine Herausforderung nicht allein für den niedersächsischen Landtag, sondern für alle niedersächsischen Bürger.
Dieser Herausforderung werden wir zu begegnen haben im Kontext der neueren deutschen und europäischen Geschichte, insbesondere der derzeitigen revolutionären Veränderungen, in deren Mittelpunkt die Frage nach der Rolle der Bürger in ihrem Gemeinwesen steht: Hat der einzelne Bürger, so wie es das demokratische Prinzip verlangt, gleichberechtigten Zugang zur Macht, oder bleibt er weiterhin mehr oder minder von der Mitwirkung an der konkreten politischen Willensbildung ausgeschlossen und die politische Gestaltungsmacht das Privileg weniger? Die Stellung der Bürger gegenüber Parlament und Regierung ist die wichtigste Frage des Hier und Jetzt.

I.

Mit der Vollendung der Verfassungsreform in Schleswig-Holstein ist Niedersachsen der letzte Flächenstaat im ehemaligen Bundesgebiet, in dem der Bevölkerung die direkte Gestaltung der eigenen Lebensbedingungen, sofern sie durch Rechtsfragen bestimmt sind, verweigert wird. Doch erst das elementare staatsbürgerliche Recht auf direkte Gestaltung der staatlichen Ordnung durch Abstimmungen macht einen Staat zur wirklichen Demokratie. Solange das Volk nur Parteikandidaten und Parteiprogramme wählen und dergestalt lediglich pauschal und indirekt auf die politische Entwicklung Einfluß nehmen kann, ist das demokratische Selbstbestimmungsrecht der Gesamtbürgerschaft und damit auch die sachliche Kontrolle der Volksvertretung konkret nicht möglich.
Wenn der Grundsatz, »Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.« (Grundgesetz Artikel 20 und Vorläufige Niedersächsische Verfassung Artikel 2) nicht nur eine wohlklingende Formel bleiben, sondern praktisch einen Wert haben soll, muß es das unmittelbare Initiativrecht des Volkes und dessen letzte Entscheidungsvollmacht, die Volksabstimmung, als zweite (autonome) Säule unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung — neben der durch die Wahlen pauschal legitimierten Arbeit der parlamentarischen Organe — geben.
Auf der anderen Seite ist es so, daß die Praxis der direkten Demokratie — also des außerparlamentarischen Initiativrechtes, des Volksbegehrens und des Volksentscheides — auch in den Bundesländern, in denen diese verfassungsrechtlich schon länger wirksam sind (so in Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hessen, Saarland, Nordrhein-Westfalen und Bremen; die Situation in Schleswig-Holstein läßt sich noch nicht abschließend bewerten, da ein Ausführungsgesetz zu der am 1. Juli 1990 in Kraft getretenen verfassungsrechtlichen Neuregelung noch nicht vorliegt, die Artikel 41 und 42 der neuen Landessatzung sind jedoch ein deutlicher Fortschritt gegenüber den anderen länderrechtlichen Regelungen), bisher nur eine marginale Bedeutung gewann. Der Grund dafür liegt jedoch — wie wir meinen — nicht im mangelnden demokratischen Engagement der Bevölkerung oder in der absolut überzeugenden Akzeptanz der Arbeit der parlamentarischen Organe, so daß es keinerlei Handlungsbedarf für den unmittelbaren Volkswillen gäbe. Es ist vielmehr so, daß die Art und Weise, wie die Volksgesetzgebung — ein weitergehendes Initiativrecht kennt bisher nur Schleswig-Holstein — in den verschiedenen Bundesländern geregelt ist, direktdemokratische Gestaltungsimpulse eher behindert als fördert.
Daher haben wir bei unserem Vorschlag, das Initiativ- und Abstimmungsrecht des Volkes zu regeln, neue Wege beschritten, die nicht nur den in sich demokratischen Charakter dieses Weges garantieren, sondern unserer Überzeugung nach auch das demokratische Engagement der Bürger ermutigen und herausfordern werden.

II.

Unser Plädoyer für das Initiativ- und Abstimmungsrecht des Volkes gründet nicht in dem Motiv, den Bürgern »die eigenständige Durchsetzung ihrer Anliegen und Interessen zu erleichtern« oder dem »Wollen einer stärkeren Beteiligung der Bürger an politischen Entscheidungen«; ein solcher Blickwinkel verzerrt schon im Ansatz das Bild vom Wesen der Demokratie, wie es sich aus dem Prinzip der Volkssouveränität, welches ja auch der vorläufigen Niedersächsischen Verfassung zugrundeliegt (Art. 2), ergibt. Wo — konsequent gedacht — dieses Prinzip das Fundament der staatlichen Ordnung ist, ist es dieses in erster Linie als Quelle der Legitimierung dessen, was als Recht und Gesetz verbindlich sein soll, und als diejenige Instanz, welche die Exekutive zur Wahrnehmung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben demokratisch bevollmächtigt.

Nur Letzteres ist bisher durch die Wahl der Volksvertretung gewährleistet. Keineswegs ist damit auch das Legitimitätsproblern schon hinreichend gelöst. Denn bei der Wahl haben die Staatsbürger lediglich die Möglichkeit, faktisch nur pauschal dem gesamten Programm einer Partei zuzustimmen; es gibt keine Möglichkeit der inhaltlichen Differenzierung, auf die es aber bei der Gesetzgebung doch entscheidend ankommt. Die mehrheitlich Gewählten ihrerseits leiten daraus zwangsläufig die Schlußfolgerung ab, es seien aufgrund ihres Wahlerfolges alle ihre Gesetzgebungsvorhaben a priori demokratisch legitimiert und die Widerspiegelung des Mehrheitswillens des Souveräns.

Doch diese Interpretation des Mehrheitswillens entspricht nicht den Tatsachen. Tatsache ist, daß es wegen des pauschalen, in sich undifferenzierten Wählvotums faktisch nicht möglich ist zu wissen, ob die parlamentarische Mehrheit in den politisch-gesetzgeberischen Einzelentscheidungen auch tatsächlich legitimiert ist durch den Mehrheitswillen der stimmberechtigten Bürgerinnen und Bürger.

Das Akzeptanzkriterium in der Demokratie ist immer der Mehrheitswille als der (je vorläufige) Schlußpunkt des offenen gesellschaftlichen Diskurses über eine Gestaltungsaufgabe, die der rechtlich-politischen Entscheidung bedarf. Wo der Mehrheitswille aber keine Chance hat, sich konkret zu artikulieren, entsteht — aktives demokratisches Bewußtsein in der Bevölkerung vorausgesetzt — ein Akzeptanzproblem bzw. Akzeptanzschwund. Er ist die Folge der mangelnden Transparenz, die strukturell besteht, wenn die politische Ordnung einer ihrem Selbstverständnis nach demokratisch verfaßten Gesellschaft ausschließlich über mittelbar-demokratische — sprich: parlamentarische — Gestaltungszusammenhänge verfügt.

Hier liegt die VVurzel aller Krisenerscheinungen der parlamentarischen Demokratie und auch die Ursache der Perversionen, die — vor allem aus dem Bereich der Exekutive — verstärkt in Erscheinung treten.

Unsere begründete These lautet, daß sowohl das Akzeptanzproblem als auch die »Verführungen der Macht« die ja insbesondere mit der Ausübung der exekutiven Funktionen verbunden sind, geradezu ruckartig verschwinden, wenn die Legitimitätsfrage — d.h. wie kann sich der Gemeinwille die demokratische Autorität in der Gesellschaft verschaffen? — sachgemäß beantwortet ist. Und diese Frage ist nur sachgemäß zu beantworten durch die sachgemäße Ermöglichung der Volksgesetzgebung.

Hinzu kommt, daß ein ausschließlich auf den Parteienpluralismus gestütztes parlamentarisches System wiederum strukturell-politisch zu einer Zweiklassengesellschaft führt die politische Mitwirkungsmöglichkeit all derjenigen Bürgerinnen und Bürger, die sich keiner Partei anschließen und selbst auch keine ins Leben rufen wollen, ist und bleibt auf die Beteiligung an Wahlen beschränkt. Nun gibt es aber nachweislich Menschen, die nicht — wie die Parteien — ideologisch gesamthaft Einfluß nehmen wollen auf die Politik; sie sind sachkundig und engagiert für bestimmte Bereiche, haben zur Lösung der Probleme innerhalb dieser Bereiche Ideen, Vorschläge und auch den Willen, sich für ihre Vorstellungen einzusetzen. Das enorme Potential an problemlösender Kreativität der Gesellschaft, das sich in dieser Weise sachpolitisch einbringen möchte, liegt brach, wenn sich das Tor zur politischen Kompetenz ausschließlich den Wegen des Parteienstaates öffnet. Auch für diese Entrechtung und Diskriminierung jener Bürgerinnen und Bürger, die das Parteipolitische ablehnen — was ja in der Demokratie dieselbe Achtung verdient wie das Parteiengagement kann nur die sachgemäße Ermöglichung der Volksgesetzgebung der Weg sein, durch den sie die gleichen staatsbürgerlichen Rechte genießen.

III.

Wenn es das entscheidende Kriterium der Demokratie ist, daß Recht und Gesetz bestätigt sind durch den Gemeinwillen (konkret: durch den Mehrheitswillen derjenigen, die sich als wahl- und stimmberechtigte Bürgerinnen und Bürger an der Gestaltung des öffentlichen Lebens beteiligen), dann ergibt sich aus diesem Kriterium, daß man noch in obrigkeitsstaatlichen Vorstellungen befangen ist, wenn man meint, es gelte, »Bürgerrechte« gegenüber Parlament und Regierung »zu verbessern« die Beteiligung der Bürger »zu stärken« oder die Interessendurchsetzung »zu erleichtern«; denn man hätte den Grundsatz der Volkssouveränität schon mißachtet, wenn man ihn nicht so verstünde, daß vom Volke selbst »alles Recht ausgeht« (wie es z.B. die Bundesverfassung Osterreichs exakt auf den Punkt hin formuliert). Wenn das — rechtslogisch, rechtsphilosophisch und demokratietheoretisch — richtig gedacht ist, dann kann es doch — umgekehrt — immer nur darum gehen, ob es (aus welchen Gründen auch immer) angezeigt erscheint, die Rechte des Parlaments und der Regierung »zu verbessern«, d.h. ihnen die Handlungsspielräume zu geben, die sie brauchen, um ihren Aufgaben gerecht zu werden. Stellt man die Frage umgekehrt gibt man in Tat und Wahrheit zu erkennen, daß man aus einem System heraus spricht, das noch nicht bei der Demokratie angekommen ist.
Wir halten daher fest: Zwar formuliert die Vorläufige Niedersächsische Verfassung in ihrem Artikel 2 als Fundament der staatlichen Ordnung den Grundsatz der Volkssouveränität — was anders könnte auch, über zweihundert Jahre nach der französischen Revolution, als zeitgemäß gelten? — aber sie konkretisiert ihn unzureichend, d.h. so, daß eben doch wieder ein obrigkeitsstaatliches System entsteht (pauschal geht zwar »alle Gewalt vom Volke aus« aber konkret — in den sachpolitischen Entscheidungen — wird sie ausgeübt von den parlamentarischen Organen, ohne das die Staatsbürger eine Möglichkeit hätten, korrigierend, kontrollierend, oder auch eigeninitiativ einzugreifen).
Volkssouveränität als Fundament der Demokratie ist aber nur dann die reale Quelle der staatlich-politischen Evolution »aller Gewalt«), wenn die Rechtsgemeinschaft der freien und gleichen (wahl- und stimmberechtigten) Bürgerinnen und Bürger selbstbestimmt die Möglichkeit haben, durch entsprechende Initiativen (für die Gesetzgebung) das öffentliche Leben zu gestalten. Nur wenn es diese Möglichkeit gibt, geht davon auch die demokratische Legitimität für diejenigen Entscheidungen aus, die von den Volksvertretungen gefällt werden. Dabei kann die Legitimitätsfrage dreifach verschieden beantwortet werden: a) Ergreift niemand die Initiative gegen einen Parlamentsbeschluß (Referendum) bedeutet das »schweigende Zustimmung« b) Kommt es zu einer solchen Initiative und zur Volksabstimmung gegen eine Entscheidung der Volksvertretung, kann das zur Bestätigung der Entscheidung führen (»erklärte Zustimmung«). Herauskommen kann aber auch c) die Ablehnung; in diesem Fall verliert der Parlamentsbeschluß seine rechtliche Verbindlichkeit. Damit ist im Prinzip nachgewiesen, daß »Transparenz und Akzeptanz der Parlamentsarbeit für die Bürger/innen und Gruppen« sachlogisch und effektiv nur dadurch strukturell herbeigeführt werden können, daß die Legitimitätsfrage aus dem Wesen der Demokratie mit der Ermöglichung der Volksgesetzgebung beantwortet wird. Nur wo die beiden elementaren »staatsbürgerlichen Grundrechte« das Wahlrecht einerseits und das Gesetzesinitiativ- und Abstimmungsrecht andererseits, noch nicht komplementär verwirklicht sind, sondern nur das Wahlrecht gewährleistet ist, kann eine Situation entstehen, für welche sich dann die Frage nach der »Verbesserung der Bürgerrechte gegenüber Parlament und Regierung« stellt. Sind beide staatsbürgerlichen Grundrechte gewährleistet, wie es vom Wesen der Demokratie her gesehen notwendig ist, gibt es im Prinzip keinen Verbesserungsbedarf mehr; dann kann es nur sein, daß diese staatsbürgerlichen Grundrechte oder eines von beiden —schlecht geregelt sind. Dann müßte man nicht diese »Rechte« sondern deren Regelung verbessern. Unser Vorschlag zur Regelung des direktdemokratischen Initiativ-und Abstimmungsrechtes will solche Kriterien der Regelung verfassungsrechtlich verankern, die eine optimale Wahrnehmung des Rechtes durch die Bürger/innen erlauben.

IV.

Unser konkreter Vorschlag zur Regelung des Initiativ- und Abstimmungsrechtes des Volkes ist an den folgenden drei Kriterien orientiert:

  1. Das Rechtsprinzip der Volkssouveränität erfordert, daß die Initiative zu einem Volksentscheid ausschließlich aus der Mitte des Volkes — d.h. nicht von Organen des parlamentarischen Systems — ausgehen darf und daß der Volksgesetzgebung alle politischen Materien zugänglich sein müssen.
  2. Die Höhe der Mindestzustimmung für den Erfolg von Initiative, Begehren und Entscheid muß dem, was durch den jeweiligen Schritt wesensmäßig geschieht, entsprechen und bezogen auf die Gesamtheit der Stimmberechtigten angemessen und initiativenfördernd festgelegt sein.
  3. Angesichts der Bedeutung, welche die Massenmedien in den letzten Jahrzehnten für die Urteilsbildung der Menschen über politische und gesellschaftliche Fragen gewonnen haben, ist es unabdingbar, daß die Berichterstattung in den Massenmedien des Landes das Für und Wider der Anliegen von Initiative und Begehren im Rahmen einer bestimmten Zeitspanne vor dem Abstimmungstermin tendenziell gleichberechtigt widerspiegelt Hierfür ist eine entsprechende gesetzliche Regelung erforderlich.

Daraus ergeben sich die folgenden Durchführungsnotwendigkeiten:
a) Mit dem Quorum von zehntausend Stimmberechtigten für die Ausübung des Gesetzesvorschlagsrechtes wollen wir erreichen, daß zum einen ein kräftiges demokratisches Leben an der Basis der Gesellschaft sich entfaltet und zum andern eine wirkliche Zusammenarbeit zwischen Volk und Volksvertretung in Gang kommt. Auf diese Weise werden die Gewählten mehr verwiesen sein auf die Vorstellungen, die in der Bevölkerung leben; sie werden sich dadurch mehr in die Rolle wirklicher Volksvertreter hineinfinden und weniger als Parteivertreter agieren.
Für diese erste Stufe des dreistufigen plebiszitären Prozesses ist wichtig, daß die Volksinitiative ihr Anliegen weiterverfolgen, d.h. ein Volksbegehren einleiten kann, wenn der Landtag ihren Gesetzentwurf ablehnt. Bedeutsam ist für die erste Stufe außerdem, daß nach dem Vorschlag die Öffentlichkeit von der Gesetzesvorlage einer Initiative authentisch durch die — gesetzlich zu garantierende —Veröffentlichung in den Massenmedien unterrichtet wird.
b) Beim Quorum von zweihunderttausend Stimmberechtigten für den Erfolg eines Volksbegehrens liegt unser Vorschlag um das Doppelte über den zum Beispiel in der Schweiz bewährten Regelungen. Wenn wir meinen, daß es zum Volksentscheid kommen soll, wenn ca. 7% der Stimmberechtigten das wollen, ist das zwar eine hohe Hürde, doch nicht unerreichbar. Regelungen zwischen 10% (wie in Bayern) und 20% (wie z.B. in Hessen) zeigen, daß es für Bürgerinitiativen so gut wie ausgeschlossen ist, diese Bedingungen zu erreichen.
c) Als Kostenausgleich schlagen wir — analog der Wahlkampfkostenerstattung für die Parteien — vor, erfolgreichen Volksbegehren einen angemessenen Betrag (bis etwa DM 100 000,--) aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung zu stellen.
d) Äußerst wichtig ist die Medienklause! (Artikel 33 a Absatz 3 und Artikel 33 b Absatz 3 Satz 2). Anders als bei der routinemäßigen Alltagsberichterstattung geht es im Fall von Volksbegehren, die den Volksentscheid erreicht haben, um Anlässe, über die der Gemeinwille des Souveräns sein demokratisches Mei° zu fällen hat.
Diese Fälle politischer Willensbildung, zu der die Gesamtbürgerschaft aufgerufen ist, sind Anlässe von höchster gesamtgesellschaftlicher und rechtsstaatlicher Relevanz. Aus dieser Tatsache muß folgen, daß jene Organe, die den dominierenden Einfluß auf die öffentliche Meinungsbildung ausüben — also die Massenmedien — in einer demokratisch geregelten Weise ihre soziale Verpflichtung hierbei dergestalt anerkennen müssen, daß im Vorfeld der Volksabstimmung Für und Wider gleichberechtigt zu Wort kommen können. Dies ist ein Erfordernis aus einem der wichtigsten Rechtsansprüche der Gesamtbürgerschaft im Zusammenhang der Volksgesetzgebung (freie Urteilsbildungl).
e) Für das Ideal einer freiheitlichen Demokratie ist es ganz unvorstellbar, ein anderes Entscheidungskriterium für die Volksabstimmung als die Mehrheit der abgegebenen Stimmen festzulegen. In einer freiheitlichen Demokratie darf auf den freien Willen der Bürger/innen kein Zwang derart ausgeübt werden, daß man — weder für Wahlen noch für Abstimmungen — Mindestbeteiligung bzw. Mindestzustimmung vorschreibt.
Für Entscheidungen über verfassungsändernde Gesetze haben wir die für den entsprechenden parlamentarischen Beschluß geltende Regelung (Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen) übernommen, doch sind auch hier andere Regelungen denkbar (siehe Bayern, Hessen und Saarland, wo auch die einfache Mehrheit ausreicht).

V.

Wir wollen nicht verschweigen, daß mancherorts Bedenken gegen unser Vorhaben gehegt werden. Jedoch meinen wir, daß unsere Petition auf die Mehrzahl dieser Einwände Antworten bereithält, und daß das von uns vorgeschlagene dreistufige Initiativ- und Abstimmungsrecht des Volkes der effektivste Weg ist, den heutigen politischen Legitimationsdefiziten zu begegnen, und daß sie letztendlich zu einer Verbesserung von Transparenz und Akzeptanz der parlamentarischen Arbeit führen wird.
Wir hoffen, daß unsere Petition über den gegebenen Anlaß hinaus den Anstoß für eine ausführlichere Beschäftigung des Niedersächsischen Landtages mit den Fragen der direkten Demokratie gibt, und diesen zu einer nicht nur für Niedersachsen wegweisenden Entscheidung veranlaßt. Auch würden wir uns freuen, wenn jedes einzelne Mitglied des Landtages zu unserem Anliegen selbst Stellung nehmen würde. Noch lieber wäre es uns allerdings, wenn die Abgeordneten eine Entscheidung der niedersächsischen Bürgerinnen und Bürger selbst ermöglichen würden. Wir fänden es begrüßenswert, wenn der Landtag diesen Weg auch dann beschreiten würde, wenn er selbst sich nicht in der Lage sähe, unserer Petition zu entsprechen, kann doch die Frage nach dem Umfange der Entscheidungskompetenz des Souveräns eigentlich verbindlich nur von diesem selbst entschieden werden.

Ihrer Antwort sehen wir erwartungsvoll entgegen.

Mit freundlichen Grüßen Hannover, 14. November 1990

Bürgerinitiative »Volksgesetzgebung für Niedersachsen«

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