28.8.06

Kommunalwahl 2006 – Der Stadtkind-Wahlomat


Ich muss mich entschuldigen, weil ich in meinem Eintrag vom 3.8. die journalistischen Fähigkeiten der Stadtkind-Redaktion überschätzt habe. Tatsächlich sind sie doch eher minimal. Zwar werden diesmal in Heft die Kandidaten für das Amt des Regionspräsidenten vorgestellt, allerdings wieder nicht alle. Im letzten Heft durfte das m.E. ziemlich überflüssige Bündnis für soziale Gerechtigkeit (warum das so ist dazu unten mehr) noch ihren Kandidaten für das OB-Amt präsentieren, aber die BSG-Kandidaten Gudrun Lappé für das Amt des Regionspräsidenten wird jetzt einfach übergangen, ebenso Christian Perbandt als Kandidat der Republikaner - letzteres könnte ich politisch ja noch verstehen, bei den bescheuerten Plakaten, die die Reps aufgehängt haben.
Aber der Hauptteil der diesmaligen Wahlkampfberichterstattung ist der Wahlomat, eine Liste mit 25 Fragen und den Antworten der Parteien darauf, so dass jedeR LeserIn selbst überprüfen kann, mit welcher Partei sie am besten übereinstimmt. Bei mir war es zu meinem Entsetzen die SPD. Muss ich die jetzt wählen? Nicht wählen wie oben erwähnt muss man das BSG, weil deren Antworten zu 96% mit denen des Linksbündnisses identisch sind, nur bei der Frage, ob die Sportvereine sich stärker an den Kosten für Sportstätten beteiligen sollen, gibt es eine (halbe) Abweichung. Warum das BSG in dieser Liste auftaucht, aber nicht die AktionSozial und Wir für Hannover, die ebenfalls Kandidaten für den Rat aufgestellt haben, wird nirgends erklärt. Haben sie auf die Fragen der Stadtkind-Redaktion nicht geantwortet? Und wurden sie gar nicht erst gefragt? Weiß die Stadtkind-Redaktion überhaupt, dass es diese Kandidaten gibt? Dass die Polnische Wählergruppe Hannover fehlt könnte mensch noch nachvollziehen, weil sie nicht Hannover-weit Kandidaten aufgestellt hat, ähnlich wie die Partei bibeltreuer Christen, die Reps und die Pogo-Partei. Trotzdem fehlt auch hier jegliche Erklärung der Redaktion für ihr Fehlen in der Berichterstattung über den Kommunalwahlkampf.
Wie schlampig der Wahlomat auch sonst zusammengestellt wurde ergibt sich bereits daraus, dass bei 10 von 25 Fragen alle Parteien die gleiche Antwort geben. Vielleicht ist Kommunalpolitik wirklich so konfliktarm, andererseits werden so politische Unterschiede zwischen den Parteien nicht erkennbar. Mit etwas mehr Sorgfalt hätten sich interessantere Fragen wie die nach dem weiteren “Verkauf von Anteilen der Stadtwerke” oder der “Privatisierung z.B. der Wasserversorgung” finden lassen. Dazu gäbe es sicher kontroverse Meinungen, aber auch das Interesse der Parteien, den Ball flach zu halten - was aber gute Journalisten gerade reizen sollte.
Etliche Fragen sind zudem missverständlich formuliert oder nur mit detailliertem Hintergrundwissen verständlich oder haben mit der Kommunalwahl gar nichts zu tun. Ob Deutschland ein Einwanderungsland ist (alle befragten Parteien sagen Ja, aber bei der CDU nehme ich mal an wird diese Antwort nicht von allen Parteimitgliedern geteilt) ist eine bundespolitische Frage und im Kommunalwahlkampf irrelevant. Da hat die Redaktion offenbar das begleitende Interview von Herrn Professor Geiling, der darauf hinweist, dass Kommunalpolitiker oft aus Parteiraison es nicht wagen, sich kommunalpolitisch zu profilieren, selbst nicht gelesen - oder hält die Stadtkind-Radaktion Kommunalpolitik für unwichtig? Ebenso ist die Strafverfolgung des Besitzes von weichen Drogen eine Frage von Bundespolitik (Gesetzgebung) und Landespolitik (Weisungen des Justizministers an die Staatsanwaltschaften). Natürlich sollte es mehr Bürgerentscheide geben (sagen auch alle befragten Parteien, was ich aber alles für echte Wahllügen halte, schließlich steht im Grundgesetz eindeutig, dass die Staatsgewalt vom Volk in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt wird, aber es seit eine halben Jahrhundert an einem entsprechenden Bundes-Abstimmungsgesetz als Gegenstück zum Wahlgesetz fehlt - kleiner Tipp am Rande für die CDU: Warum reagiert die CSU so lange allein in Bayern? Weil es dort mehr Volksabstimmungen als in allen anderen Bundesländern zusammen gibt. Wenn die Bürger sich über ein Thema ärgern machen sie sich in Bayern in einer Volksabstimmung Luft anstatt bei der nächsten Wahl einen Regierungswechsel anzukreuzen. Think about it!), aber die Gesetze dazu macht der Landtag - im übrigen haben außer zur Expo die Ratspolitiker in Hannover noch nie nach dem Willen der Bürger zu bestimmten Themen gefragt. (Achtung! Die Bürger wurden nur gefragt, durften aber nicht selbst entscheiden!) Das wäre doch mal ein Thema für Stadtkind, oder?
Die Frage dagegen, ob Berufsschulen eigenständig ausbilden sollten (die SPD ist dagegen, die FDP unentschieden), ist nur demjenigen verständlich, der sich genauer mit dem dualen Berufsausbildungssystem in Deutschland auskennt. Ich wüsste jetzt auch gar nicht, ob die Kommunen da irgendwas entscheiden können oder ob das nicht doch wieder Landespolitik ist.
Ob die Fördermittel für Klimaschutz weiter erhöht werden sollten (die FDP ist dagegen) kann ich eigentlich auch nur beantworten, wenn ich die Größe des derzeitigen Fördertopfes kenne und die Zahl der Anträge. Wie ist denn der Sachstand in Sachen Klimaschutz? Und im übrigen kann mensch ja auch zuviel des Guten tun.
Die Frage, ob das Klinikum Hannover in öffentlicher Trägerschaft bleiben soll (FDP und CDU sind dagegen), kann ich ohne Informationen über alternative Trägerschaftsformen und ihre Vor- und Nachteile auch nicht seriös beantworten. So pauschal ist mir die Fragestellung einfach zu populistisch.
Ebenso ist die Frage nach der Vereinheitlichung der Kita-Beiträge in der Region (die FDP ist dagegen) nicht zu beantworten. Soll etwa die soziale Staffelung nach Einkommen der Eltern wegfallen? Sind die Kommunen nicht verpflichtet, Kostendeckung bei den Kosten der Kitas anzustreben, ist ihnen aber nicht auch gleichzeitig über das Gebührenrecht verboten, hier Gewinne zu erzielen? Unterschiedliche Kosten müssen dann schon von gesetzeswegn zu unterschiedlichen Gebühren führen. Müssten zu einer Vereinheitlichung nicht eventuell die Kitas rechtlich in die Trägerschaft der Region wechseln?
Ob die finanziellen Mittel für Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen in Hannover erhöht werden sollen (CDU und FDP sind dagegen)? Wie hoch sind sie denn eigentlich - und sind sie überhaupt noch erforderlich? Wie ist denn der Sachstand überhaupt bei der Gleichstellung - und sind nicht eher Quotenregelungen bei Einstellung und Beförderung hilfreicher? Die kosten aber keine Fördermittel, oder? Ist Geld hier nicht vielleicht sogar ein Feigenblatt dafür, dass die Parteien nicht gewillt sind, an den bestehenden patriarchalischen Strukturen etwas zu ändern?
Gleiches Problem bei der Frage nach dem Ausbau des Radwegenetzes in Hannover (alle befragten Parteien wollen ausbauen). Gibt es denn noch echte Lücken im Radwegenetz und ist das Problem nicht eher, dass die Politiker nicht wagen, die Innenstadt einfach autofrei zu machen?
Sprachlich missverständlich ist dagegen die Frage, ob “Organisationen der Alltagskultur, also z.B. Vereine, stärker in den politischen Verhandlungsprozess einbezogen werden sollten”. Da habe ich spontan Nein gesagt, weil nicht nur Vereine, sondern alle Bürger “stärker in den politischen Verhandlungsprozess einbezogen werden sollten” (diese Formulierung hat die Redaktion vermutlich aus irgendeinem Wahlprogramm oder soziokulturellen Pamphlet abgeschrieben). Denn es ist überhaupt nicht einzusehen, dass Lobbyistengruppen wie die Vereine bei der politischen Beteiligung bevorzugt werden sollten. Die befragten Parteien haben aber alle mit Ja geantwortet, entweder, weil sie sich keine demokratische Blöße geben wollen, oder weil sie mit dem Konzept, aus dem diese dämliche Formulierung entwendet wurde, vertraut sind und daher die Frage ganz anders verstanden haben als ich. Als halbwegs professionelle Journalisten hätte sich die Stadtkind-Redaktion bewusst sein müssen, dass solche Formulierungen von Politikern anders verstanden werden als von Menschen außerhalb solcher politischen Zusammenhänge. Daher noch mal: Entschuldigung, dass ich in meinem Eintrag vom 3.8. die journalistischen Fähigkeiten der Stadtkind-Redaktion überschätzt habe.
PS: Die beiden touristischen Beiträge auf den Seiten 30 und 31 der aktuellen Stadtkind-Ausgabe lesen sich zudem nicht wie selbstverfasst, sondern wie aus Presseerklärungen eines Reisbüros für Stockholmreisen und des Betreibers des “AquaLaatzium” abgeschrieben. Da müsste eigentlich Anzeige drüberstehen, wird aber als redaktioneller Beitrag verkauft. Und siehe da, die Autorin Ela Windels entpuppt sich als eCommerce/Online Marketing-Mitarbeiterein bei HLX, deshalb auch der HLX-Flugtipp am Ende des Stockholm-Beitrags. Und was soll die Fotoserie von hübschen Kneipenbedienungen namens “Lokalheld(in) des Monats”? Das will so gar nicht zu der Satire über nervige Partyfotografen weiter hinten im Heft passen.

Keine Kommentare: