5.3.07

Die neue SPEX

Ein paar Tage lag das neue Heft herum, weil üblicherweise muss das alte Heft erst mal fertig durchgelesen sein. Dann aber nahm ich es trotzdem zur Hand, gefordert mir zu dem bereits ausgebrochenen Meinungssturm eine eigene Meinung zu bilden. Das Titelblatt ist schlapp, der abwaschbare Umschlag irritiert, und das Editorial habe ich nicht verstanden, was daran liegt, dass es sich hier um die Art pseudointellektuellen Text handelt, der dem Gegner hämisch dessen eigenen Zitate um die Ohren haut, um zu beweisen, dass er Unrecht hat. Das geht hier aber in die Hose weil die Zitate einer Sprache entnommen sind, die heute so nicht mehr gesprochen wird, bzw. die Worte, die damals ihre Bedeutung in einen bestimmten Zusammenhang entfalteten, so heute nicht mehr funktionieren, was insbesondere für den Begriff "Pop-Theorie" zutrifft. Was soll das heute denn noch sein (eine Frage, auf die auch Kölner SPEX-Redaktion zuletzt keine Antwort mehr wusste)?. Der gravierenste Fehler an dem ganzen Text ist jedoch, das er es nicht schafft, einen eigenen Standpunkt zu entwickeln, von dem aus die Kritik nachvollziehbar wäre. Sicher war es damals ein Fehler von Diedrich Diederichsen, mit seiner Feststellung "The Kids are not alright" auf die Nazis in Baseball-Caps abzustellen, denn vielmehr war an diesem Punkt der mythische Zusammenhang zwischen Pop und linker Politik (hallo Peter Rüchel!) als das entlarvt worden, was er von Anbeginn war, nämlich eine Lebenslüge, gepflegt von der deutschen Pop-Musik-Szene seit 1968 (okay, eigentlich von der deutschen Rock-Szene, die anderen waren ja Schlager und echter Pop kam immer aus England oder den USA, bis dann SoundS ab 1980 begann, auch Pop als linkes Kulturmedium zu entdecken) . Doch das bemerkt die neue SPEX-Redaktion nicht, und so klingt ihr trotziges "The Kids are alright" wie eine (un?)freiwillige Umarmung von Pop-Nazis. Dabei ist die viel offensichtlichere Frage doch, ob denn die Kids jemals "alright" waren, ob Jugend (und Rock/Pop als ihr kultureller Ausdruck) an sich ein positiver Wert ist (Hans-Martin Schleyer hat ja bei seinen Gesprächen mit seinen RAF-Entführern darauf hingewiesen, dass er und seine SS-Kameraden damals auch Idealen gefolgt seien - eine Feststellung, deren Konsequenz sich ja die deutsche Linke bis heute nicht gestellt hat). Diese Frage aber ignoriert die neue SPEX-Redaktion, weil sie den Mythos Pop-Theorie erhalten möchte, offenbar um einen Art Kontinuität mit der "SPEX-Tradition" zu behaupten. Insofern trifft dann auch die ins Mark zielende Kritik von Jochen Distelmeyer an der Kölner SPEX-Redaktion von den "House-Negroes" auch auf die Berliner SPEXler zu. Aber das Heft ist klüger als die Redaktion: die Texte sind nicht mehr so theorielastig, sondern beschreibender, aus den Plattenkritiken erfahren die Leser tatsächlich wie die Musik klingt und auch habe ich das Gefühl dass hier mehr verrissen und weniger gelobhudelt als in den letzten Jahren in Köln. Der Kulturteil wurde deutlich eingedampft, aber plötzlich findet Klassik wieder Erwähnung. Auch die CD zeigt in eine etwas andere Richtung, ein Stück von Martin Kippenberger wäre so früher nicht möglich gewesen, weil nicht mit dem konservativ-ideologischen Indie-Kosmos kompatibel. Und es ist auch eine interessante Erfahrung, das Heft an einem Wochenende durchgelesen zu haben, was bedeutet dass das Lesen der SPEX auch wieder Spaß machen kann und nicht zur intellektueller Qual verkommt. Ob darunter die Inhalte leiden steht auf einem anderen Blatt, aber wenn "writing about music is like dancing about architecture", dann ist die Lesbarkeit eines Textes eine genauso wichtige Kategorie für seine Qualität wie die Frage, ob er sein Thema trifft oder nicht. Sachliche Richtigkeit ist allerdings auch nicht unwichtig, weshalb nicht nur der "Crazy Frog"-Lapsus peinlich ist, sondern auch Mike Watt nicht Mitglied von Firehouse ist, sondern von fIREHOSE war. Aber mein letzter Leserbrief an die Kölner SPEX war ja auch die Beschwerde, dass das Beatles-Stück "In my life" nicht "It's my life" heißt, was das größere Sakrileg ist. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass hier auf das Durchschnittsalter des Zielgruppenprofils 10 Jahre draufgelegt wurden - und das scheint tatsächlich eine Möglichkeit des Überlebens der SPEX in den nächsten Jahren zu sein (weniger die Idee, die deutsche WIRE zu werden, obwohl es auch hierfür Ansätze im Heft gibt). Warten wir die nächsten Hefte ab. Das Januar-Heft liegt jedenfalls immer noch ungelesen herum.

8 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

1. der letzte spex-red und ihren schreibern vorzuwerfen, sie wären (noch immer) unverständlich gewesen, zeugt von einer provozierten unverständigkeit deinerseits -
so dumm bist du nicht.

2. das letzte war eine doppelnummer:
Januar/Februar - wie seit Jahrzehnten.

martinf hat gesagt…

@1: Wenn Du einen Text verstehst heißt das noch lange nicht, dass jedermensch sonst den Text auch verstehen muss. Natürlich gab es mir unverständliche Texte auch bis zuletzt in den Heften der Kölner SPEX - warum sie mir unerständlich waren hatte sicherlich verschiedene Gründe, die hier auszubreiten Dich sicher langweilen würde. Der Punkt ist, dass meine Erwartung an eine Musikzeitschrift eben Unterhaltung, Information und easy reading ist, etwas was die Kölner SPEX für mich nur teilweise eingelöst hat (warum ich sie trotzdem gelesen habe ist ein anderes Thema). Für Dich offenbar besteht zwischen einem sozialwissenschaftlichen Text und einem Artikel einer Musikzeitschrift kein Unterschied. Ich denke aber, dass Du mit der Position eher einer (lautstarken) Minderheit angehörst.
@2: Was willst Du damit sagen? Dass Du an meinem Standpunkt keinen grundsätzlichen Ansatz zur Kritik fandest und deshalb irgendein fehlerhaftes Detail, das auf den Rest des Textes keinen Einfluss hat, rauspicken mußtest, um Deine Meinungsführerschaft wiederherzustellen?

Anonym hat gesagt…

1.1. es kann weder der anspruch eines schreibers noch eines lesers sein, dass texte für alle verständlich wären. so kommt sprache auf den hund - es ist immer besser, den menschen etwas mehr zuzumuten als sie vielleicht im ersten moment vertragen können, nur so bleibt unsere sprache so lebendig wie heute (genau, inkl. denglisch und allen falsch benutzten wörtern aus anderen sprachen!).

1.2. deine gründe würden mich alles andere als langweilen - darum geht s doch gerade! warum war was genau unverständlich? und mal ehrlich, gilt/galt das wirklich für grosse Teile der Spex und ihren schreiber? ich kann dir ein ganzen haufen von ehemaligen nennen, die wahrscheinlich in ihrem ganzen leben noch keinen unverständlichen satz in diese zeitung getragen haben.

1.3. Schriebst du nicht etwas von "THE WIRE" in deinem text - und da wagst du es von "easy reading" zu schreiben? dann hast du noch nie die WIRE gelesen, das ist alles andere als easy (wenn auch sehr unterhaltend und informativ).

1.4. nein, auch mache eine unterschied zwischen einem sozialwissenschaftlichen Text und einem Artikel in einer Musikzeitschriftich - ich gehöre sogar zu den (wenigen?) menschen, die versucht haben, es besser zu machen als die kollegen mit ihren seminar-arbeiten - finde es aber gerade aus diesem grunde schwer erträglich, wenn schreiber wie du in allgemeinplätzen alle über einen kamm scheren - es gab seit bestehen der spex - neben dieser ganzen studentischen pro-seminar-schreibe und dem theoriegehuber von DD und seinen jüngern - eine ganz andere schule von schreibenden mit werten wie unterhaltung, information, humor/selbstironie, sprachwitz, vermittlungswille, dedication etc. dieser vorwurf der unverständlichkeit ist so alt wie die spex, aber entspricht eben am wenigsten bei der letzten redaktion der realität

2. meine fresse - zuviel koffein? ich wollte damit nur andeuten, dass du sogar doppelt soviel zeit hattest, dich der Ausgabe zu widmen... und, nun, es ist eben nicht die januarausgabe sondern eine doppelnummer, eine tatsache, die mit einer wie auch immer gearteten (und vor allem von wem auch immer angestrebten) meinungsführerschaft herzlich wenig zu tun hat.

martinf hat gesagt…

Sorry, aber ich habe echt keinen Bock mir Dir über etwas zu diskutieren, was nicht Thema meines Postings war. Thema war die neue SPEX und ihr Editorial. Dazu fällt Dir offenbar nichts ein.

Anonym hat gesagt…

wenn man nichts mehr zu entgegenen hat, erklärt man die diskussion für beendet? wie arm ist das denn?! ich nehme alles zurück: du bist wohl doch etwas minderbemittelt, dann wirkt natürlich die ganze welt auf unverständlich - verzei, ich wünsche noch ein schönes, langes leben in ignoranz ...

martinf hat gesagt…

Lieber Stephan Glietsch,
warum sollte ich mit jemanden weiterdiskutieren, der 1. zum Thema (ergibt sich aus der Überschrift) nichts (in Großbuchstaben: N I C H T S) beizutragen hat, stattdessen 2. (verlorene?) Schlachten von gestern (es gibt keine Kölner SPEX-Redaktion mehr und daher nie(?) mehr eine SPEX-Ausgabe, der man Unverständlichkeit (gerechtfertigt oder ungerechtfertig) vorwerfen könnte) weiterkämpfen möchte? Wenn Du zu dem Thema weiterdiskutieren möchtest, eröffne bitte Deinen eigenen Blog, aber versuch nicht mir ein Thema aufzuzwingen, das mich nicht (mehr) interessiert. Abgesehen davon stecken in meinem Text noch ein paar andere Kritikpunkte an der alten SPEX, mit denen Du offenbar d'accord gehst.

Unknown hat gesagt…

lieber martinf,
darf ich fragen, was dich darauf schließen läßt, diese kommentare seien von mir? sind sie nicht. und ich stehe ganz und gar nicht auf derartige unterstellungen.

Anonym hat gesagt…

dann setz dich bitte...