11.6.15

SCHALL

Ein neues Musikmagazin drängt auf den Markt mit dem Titel SCHALL und dem Anspruch über Musik aus dem deutschsprachigen Raum zu schreiben. So etwas kann m.E. nicht gut gehen, denn das damit umfasste musikalische Spektrum ist gigantisch, von Folk über Jazz und Klassik bis zu Techno, Rap und Death Metal. Das ist schon deshalb idiotisch, weil ein Blick in jede Zeitschriftenabteilung der nächsten Bahnhofsbuchhandlung deutlich einen Trend zu Spartenmagazinen offenbart. Nur Gothic, nur Metal, nur Rock, nur Sixties, nur Rap, nur Elektronik, nur sonst was und dann auch noch Subgenres, ganz zu schweigen von den Magazinen für Musikinstrumente. Daneben gibt es einige Magazine mit einem breiteren Spektrum wie SPEX und ROLLING STONE, aber diese zeichnen sich durch eine bestimmte Haltung aus, wagen es auch mal angesagte Bands schlecht zu rezensieren und andere Themen aufzugreifen wie Literatur, Comics, Mode, Politik. Es gibt also zwei Arten von Musikzeitschriften, einmal die Spartenblätter, die im Prinzip eine Marktübersicht über die aktuellen Neuerscheinungen und Tourneen in ihrer Nische anbieten, und zum anderen die Hefte mit breiteren musikalischen Spektrum, die eine meinungsstarke Auswahl an Themen bieten und Geschichten erzählen statt Promozettel abzutippen. Angesichts dieser Situation kann ein Projekt wie SCHALL - wegen seinem unbegrenzten musikalischen Spektrum - nur überleben, wenn es darauf verzichtet der verlängerte Arm der Promoagenturen zu sein und dafür in die Tiefe gehende Texte anbietet. Leider ist das in der ersten Ausgabe nicht der Fall. Ich gebe zu, dass ich die meisten Künstler, die das Heft präsentiert, nicht kenne, was mich in die glückliche Lage versetzt, die Texte objektiver zu lesen. Gut, junge Bands und Solokünstler haben noch nicht viel erlebt und können daher nicht viel erzählen, aber auch die 10 Seiten über Sophie Hunger - die ebenfalls musikalisch an mir vorbei gegangen ist - bleiben an der Oberfläche. Flake von Rammstein ist ein interessanter Mensch, da muß man als Interviewer nicht viel tun. Aber 40 Jahre Boney M. nur mit einem Hinweis auf eine DVD-Box abtun?! Nicht dass mich deren Musik in Jubelstürme versetzen würde, aber Frank Farian als Produzent ist doch eine interessante Figur, ebenso die Schicksale der Bandmitglieder und beteiligten Musiker, der Einfluss der Musik von Boney M. auf andere Musiker. Da könnte man Geschichten erzählen. Und wie kann man heute einen Artikel über die Söhne Mannheims schreiben, ohne die merkwürdigen politischen Vorstellung von Xavier Naidoo nicht zu thematisieren? Die Geschichte Herbert Grönemeyers anhand von Pressefotos zu erzählen? Geht es noch dünner? Ja, 5 Seiten fast nur Jubelkritiken über aktuelle CD-Veröffentlichungen. Einzig Lena wird runtergemacht, oh wie mutig. Das soll nicht heißen, dass aller nur eitel Sonnenschein ist - sehr wohl aber bei dem Artikel über eine Künstleragentur. Etwas launisch dagegen der Artikel über die Punkrentner Normahl, aber die offensichtliche Frage, ob das noch zeitgemäß und/oder künstlerisch relevant ist, wird nicht gestellt. Überhaupt ist mir der Standpunkt, von dem aus Kritik geübt wird, unklar, so in den 6 Seiten über die CD-Box "Aus grauer Städte Mauern" von Bear Family, die den Spagat zwischen Industrie- und Independent-NDW versucht. Sätze wie "Musikalische Entwicklungen, jedenfalls dort, wo sie Pop werden, lassen sich nicht in soziologische Erklärungsmuster zwängen. Pop entwickelt sich im wesentlichen aus der Logik der eigenen Geschichte heraus" offenbaren ein Kulturverständnis aus dem Kaiserreich, als der Einfluss des gesellschaftlichen Klimas auf die künstlerischen Entwicklungen von den Eliten komplett negiert wurde.
Meine Prognose ist, SCHALL wird das gleiche Schicksal erleiden wie AUF EINS, nach dem dritten Heft ist Schluss.

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