29.7.07

Hannover Fun Fun Fun


Noch ein Wunsch, diesmal von anonymus nr. 2, der erste No-Fun-Sampler von 1980, die erste Veröffentlichung des neu gegründeten NO Fun-Labels aus Hannover (die zweite war die Nachpressung der ersten Hans-a-plast-LP, die bereits 1979 erschienen war). Wie bei allen Städte-Samplern gibt es Höhen und Tiefen, wobei zu sagen ist, dass die Tonkooperative Hannover gute Arbeit geleistet hat: das großartige "Wald" von Phosphor klingt im Rough-Mix echt gestümpert und der "Auftritt" von Rosa war wirklich nur Scheiße, wie die aus dem öffentlichen Probeabend absoluter Nichtskönner noch einen Song herausgefiltert haben, da kann ich nur Hut ab sagen. Hut ab übrigens auch vor den beiden Daily Terror-Stücken. Die Braunschweiger machten dann noch 'ne Single bei No Fun, zerstritten sich allerdings dann mit dem Label und veröffentlichten eine Hass-Single bei Aggressive Rockproduktionen, wobei mir bis heute der Grund des Streits unbekannt ist. Dass die LP im Mai 1980 ausgerechnet von dem Label-Konkurrenten Alfred Hilsberg in SoundS etwas nörgelig besprochen wurde kam bei Hollow Skai und Co. gar nicht gut an:

IN DIE ZUKUNFT
Konnekschen KonLP 3
GERÄUSCHE FÜR DIE 80er
No Fun 002[sic!]
NO FUN SAMPLER
No Fun 001
Von Diedrich Diederichsen und Alfred Hilsberg
Es geht rasend bergauf mit uns. Wer hätte das gedacht? Wir sind wieder wer! Das neue deutsche Welle-Wunder.
Und bei solch rasanten Entwicklungen ist es ärgerlich, daß der zweite Hamburg-Sampler, IN DIE ZUKUNFT, aufgenommen beim zweiten Markthallen-Festival (vgl. SOUNDS 8/79) im Juni 1979, erst jetzt erscheint. ZK und Male haben inzwischen Singles herausgebracht, die sie in ganz anderen Entwicklungsstadien zeigen, die Geisterfahrer hörten sich schon im letzten Winter auf der Bühne ganz anders an und von ihrer neuen Single erwartet man ja auch einiges. Hans-A-Plasts Anette steht bei ihrem gesprochenem Intro zu "Es brennt" offenbar unter Druck, jedenfalls gelingen ihr die dramatischen Pausen und Akzente nicht so gut wie auf der eigenen LP, DIN A TESTBILD klingt ziemlich matschig, Big Muff und die Buttocks sind mir zu Hamburgisch und die Stimmung, die während des KFC-Auftritts geherrscht hat, kommt nur zur Hälfte rüber. Was die Platte als Ganzes jedoch sehr gut dokumentiert, ist der brodelnde, verwirrte, hitzige Zustand, in dem die deutsche Szene damals steckte. Als alle Initiativen, Labelgründungen etc, noch im Anfangsstadium steckten. IN DIE ZUKUNFT ist nicht konsumierbar, wie etwa der NO FUN-SAMPLER, der einander ähnliche Bands auf ähnlichem Niveau und mit ähnlichen musikalischen Zielen präsentiert und den man sich als Punk- oder Neo-Rock-Fan bedenkenlos zu- und auflegen kann, aber IN DIE ZUKUNFT bringt die Roots, das unkontrollierte Urmagma.
GERÄUSCHE FÜR DIE 80ER vom dritten Martkhallen-Festival (vgl. SOUNDS, 2/80) ist zwar auch sehr heterogen, hat aber mit nur fünf Bands größere Komplexe, denen sich der Zuhörer widmen kann. Abwärts gefallen mir zwar auf ihrer Single besser, aber auch hier gibts schöne Momente. Eine Überraschung waren für mich die Salinos, die ich live versäumt hatte, und von denen mir irgendwelche Idioten berichteten, das wäre nichts gewesen. Allein die zwei Songs auf der LP gehören zum Lustigsten und Intelligentesten seit Mittagspause. Auszug aus dem ."Juso-Rock": "Rock macht doof/Rock macht tot/Rock macht bekloppt/.../Das ist der Juso-Rock/.../Bei Rock gegen Rechts rufen alle im Chor/Strauß zurück und Helmut vor/Das ist der Juso-Rock/Die Boomtown Rats, die Rolling Stones spielen doch seit Jahren schon/Den Juso Rock/.../Rock 'n Roll/furchtbar/Disco-Musik/furchtbar/Jazzrock/furchtbar/Rockmusik ist Valium..." Auch die Ansage dieses Stücks ist toll. aber leider zu lang zum Zitieren. Danach kommen die Razors, die ich nicht mag. Wenn Bands schon musikalisch nicht sehr originell sind, sollen sie wenigstens deutsch singen.
Auf der zweiten Seite dann vier Stücke von Liebesgier, der Höhepunkt der LP. Und da mir von Plänen der Gruppe, eigene Platten zu machen, nichts bekannt ist, machen allein diese vier Stücke den Kauf des Samplers lohnenswert. Selten so kraftvollen Gesang, so energetisches Spiel, so prägnante Texte gehört. Selten so viele gute Ideen, zwischen Dada und Teenage Jesus. Dreimal Pfui über das stinkblöde Publikum, das pfeift und schimpft, statt auf den netten Vorschlag der Sängerin zu reagieren, "doch rauszugehen, wenn es euch nicht paßt". Daß hie und da ein paar Sachen unsauber oder falsch klingen, macht überhaupt nichts: Wer kann schon gegen so einen Druck anspielen. Und: Wir alle werden als Dilettanten geboren.
Den fröhlichen Ausklang bringen die Coroners. Das "Alcohol" und "Anarchy"-Geschrei ist vielleicht ein wenig langweilig, aber die "Ihr Kinderlein Kommet"-Pogo-Version ist ein Meisterwerk: "Jesus, die Drecksau is heute geborn/Ihr Kinderlein kommet doch all!"
Im Gegensatz zu den beiden Hamburg-Samplern präsentiert der NO FUN SAMPLER, nur die sehr große Szene einer Stadt, Hannovers, und hierzu nun Alfred: Städte-Sampler haben ihre Nachteile; am Einerlei manches englischen Albums ist das nicht zu überhören. Last not least ist auch hier von den meisten Gruppen nur ein Stück zu hören - die Schubladen und eine Sternchen-Verteilung gefährlich nah für vorschnelle Urteile. No Fun - der Sound einer City? Schon eher, aber was ist Hannoversch dran?
Die Splizz, eine aus Rotzkotz hervorgegangene und schon wieder aufgelöste Gruppe, wärmt einen zum Anfang richtig auf. Auch wenn's am Schluß ins Traditionelle abrutscht, die Gruppe hatte überdurchschnittliche musikalische Qualitäten. Und Phil ist ein starker Sänger. Folgen die Cretins mit einem makabren Song, der "Dachau Disco". Überraschend gut für eine Kid-Band. Deutsche Texte, wie auch beim Modernen Mann, die für mich auf der Studio-EP etwas konzentrierter-überzeugender wirkten.
Von 39 Clocks dürfte noch mehr zu erwarten sein. Ohne Schlagzeug, dafür mit Rhythmus-Maschine, haben sie - mangels Live-Aufnahme - ein im Studio produziertes Stück beigesteuert. Schade, daß sie englisch singen. Hans-a-plast am Schluß der ersten Seite mit "Amerikaner" so gut wie eh und je. Schade, daß kein neues Stück von ihm aufgenommen wurde. Ganz abwechslungsreich, die gesamte A-Seite. Zum Verwechseln ähnlich dagegen einige Aufnahmen der B-Seite. Peinlich fast das Stück von Rosa ("De Sade war hart"). Ihrem Pogo-Revival entsprechend annähernd auch Schwanz kann's ("Ich und mein Schwanz") und Phosphor ("Wald"). Und selbst noch bei Kaltwetterfront (,,Disco Boy") könnte man meinen, alle diese halb-harten-halb-schnellen Bands hätten den gleichen Sänger.
Daily Terror aus Braunschweig zählen zu den Höhepunkten der Platte. Zwei gegensätzliche Stücke: "Andere Zeiten" mit Anleihen beim Reggae, "Schmutzige Küsse", ein reichlich pogoiger Song mit Gitarrensolo. Rotzkotz ("No Name") merkt man die langjährige Erfahrung an; ihre Professionalität kommt auf dieser einen Aufnahme genausowenig zur Geltung wie die Qualitäten anderer Gruppen.
No Fun - ein Muß? Zumindest eine erste Information für alle Auswärtigen. Die Pogo-Fans werden die Platte mögen, und die anderen werden sich ihre Rosinen herauspicken. Fazit: Etwas weniger Bands und etwas mehr Aufnahmen von jeder Gruppe hätten dem Hannover-Sampler gut getan. Und warum immer noch englisch gesungen wird, ist mir ein Rätsel.


"HanNOver Fun FUN Fun"
Splizz "Tripping on Minster Beach (GB)/Private keep out" / Cretins "Dachau-Disco" / der Moderne Man "Das Disco-Lied" / The 39 Clocks "39 Explosion Heats" / Hans-A-Plast "Amerikaner" // Rosa "De Sade war hart" / Daily Terror "Andere Zeiten" / Daily Terror "Schmutzige Küsse" / Schwanzkann's "Ich und mein Schwanz" / Kaltwetterfront "Disco Boy" / Phosphor "Wald" / Rotzkotz "No Name"
Abgemischt von Rainer von der Tonkooperative
NoFun Records NF 001, LP, 1980 (download)

Translation: This is the first punk-compilation from Hannover from 1980 with exclusive live-recordings, although only 3 bands could be described as punk in a dogmatic sense...

18 Kommentare:

Anonym hat gesagt…
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
Zero G Sound hat gesagt…

Thanks for this compilation, it still sounds great!

By the way, MC 5 - Teenage Lust is re-upped over at zerogsound.

Greetings

Anonym hat gesagt…

habt dank, lieber martin,
ihr habt mir eine große freunde gemacht.

anoII

Anonym hat gesagt…

Kannst du den Sampler bitte wieder hochladen? Ich hab das gute Stück als 15 Jähriger von nem Punk der ersten Stunde getaped bekommen, mittlerweile ist das Band nichtmehr abspielbar aber es gibt Tage an denen ich "Disco Boy" immernoch im Ohr hab- es wäre großartig das mal wieder zu hören!

martinf hat gesagt…

Wunsch erfüllt :-)

Anonym hat gesagt…

Vielen, vielen Dank!Hör' der Moderne Mann und Kaltwetterfront im Dauerdurchlauf!Grüße aus Wien,B.

Glamypunk hat gesagt…

Immer wieder schön "Ihr Kinderlein Kommet" von den Coroners zur Weihnachtszeit zu hören.Der perfekte Weihnachtssong überhaupt.

Anonym hat gesagt…

könntest du den Sampler vielleicht nocheinmal hochladen?

Danke.

Anonym hat gesagt…

Nochmals vielen Dank fürs reuppen. :)

Anonym hat gesagt…

Für das Album war auch die Band "Deutschland" issa pogoband - eine Band aus dem Umfeld von Blitzkrieg vorgesehen. Die unschuldige Namensfindung - Amerika und Japan - waren sehr erfolgreich - führte zum Ausschluß und dem Vorwurf, politisch nicht korrekt zu sein...

martinf hat gesagt…

Ich muß dem von Anonym in den Welt gesetzen Gerücht widersprechen. Eigentlich spricht schon die Tatsache, dass "Dachau Disco" von den Cretins auf der LP gelandet ist, dagegen (ich habe zudem vor einigen Jahren ein Band mit einem weiteren Live-Titel von den Cretins in einem Studio entdeckt - NoFun hatten sich also darauf vorbereitet, den Titel bei rechtlichen Problemen auszutauschen). Soweit ich weiß wollte die Szene um Blitzkrieg herum nichts mit dem 2.NoFun-Festival zu tun haben. Und anders als Blitzkrieg fielen Deutschland damals nicht durch Konzerte, sondern nur durch ihren Edding-Slogan "Heißmeiers Kinder" auf. Der einzige Auftritt von Deutschland war glaube ich erst 1982 im Vorprogramm von Blitzkrieg in der Werkstatt Odem in der Warstraße und kam dann auf Spargel-Tapes in einer Mini-Mini-Mini-Auflage (vermutlich ohne Wissen der Band) heraus. War geiler Pogopunk im Lurkers-Stil.

martinf hat gesagt…

ich muß mich berichtigen: tatsächlich war der auftritt von deutschland zusammen mit blitzkrieg in der werkstatt odem bereits im juni 1980. vielleicht schaffe ich es, den demnächst mal zu posten...

Franz Biberkopf hat gesagt…

Hallo Martinf,

wann der Deutschland Auftritt in der Werkstatt Odem stattfand, erinnere ich leider auch nicht mehr, aber 1980 scheint mir wahrscheinlicher. Wenn es von dem Auftritt noch Tondokumente gibt, wäre ich an diesen extrem interessiert. Leider wurden wir vor den Aufnahmen für den No-Fun-Sampler aufgrund politischer Bedenken (Bandname)rausgekickt. Kaum vorstellbar, aber wir waren der Zeit offenbar voraus. Heutzutage (WM 2006) sind Deutschlandfahnen kein Thema mehr. Seinerzeit wurde Deutschland in die rechte Ecke gerückt. Die von Dir erwähnten Slogan "Heißmeiers Kinder" waren ja eher ein kritisches Statement, wurden aber offenbar falsch verstanden. Seis drum. Wie gesagt, an Tondokumenten wäre ich extrem interessiert.
Vielen Dank

schrottvogel hat gesagt…

Der Hannover No Fun-Sampler stammt vom 2. No Fun-Festival in der AJZ Glocksee am 7. & 8.3.1980, richtig?

Wann aber war das erste? Ich habe beim Phosphor-Interview im Bericht der UN-Menschenrechtskommission #4 gelesen, dass diese wohl gegen Ende 1979 bei einem "Spargel-Festival" in der Kornstraße ihren ersten Auftritt. Ist das vielleicht 1. No Fun-Festival?

Außerdem gab's dann wohl noch von Phosphor im Sommer 1980 organisiertes "Döhren-Festival". Laut http://www.germanrock.de/alt/p/phosphor/index.htm hat Phosphor da zuerst gespielt, kann aber wohl nicht sein.

Oder wie jetzt? Würd mich sehr freuen, wenn du da als Szenekenner mal ein wenig Licht ins Dunkel bringen könntest.

martinf hat gesagt…

Das 2.NO FUN-Festival war im UJZ Glocksee mit SPLIFF, DER MODERNE MAN, THE 39 CLOCKS, PHOSPHOR und HANS-A-PLAST am ersten Tag, sowie DAILY TERROR, SCHEIßKERLS (beide aus Braunschweig), ROTZKOTZ, SCHWANZ KANN'S, KALTWETTERFRONT, CRETINS und ROSA am zweiten Tag.
Das 1.NO FUN-Festival war am 18.11.1978 im JZ Badenstedt mit SCHLEIM (aus Braunschweig feat. Annette Benjamin und dem Titel "Man of stone"), HANS-A-PLAST (noch als Quartett) und ROTZKOTZ.
Das SPARGEL-Festival war am 24.11.1979 mit SCHWANZ KANN'S (feat. Crazy Baby Doc), THE FUCKS, PHOSPHOR (erster Auftritt), KONDENSATORS, CRETINS und ROSA.
Das Festival war übrigens der Ersatz für den ausgefallen 2.Teil des DIE ZUKUNFT HAT KEINEN NAMEN?!-Festivals, dass am 20.10. im UJZ Kornstraße staffinden sollte.
Der 1.Teil fand am 15.9.1979 im Raschplatz-Pavillon mit ROTZKOTZ, MONTEGO BAY (Reggae), KALTWETTERFRONT und HANS-A-PLAST statt, einen 3.Teil sollte es auch noch geben, der ebenso ausfiel.
Und dann gab es noch das 2.Schülerband-Festival am 5.7.1980 in der Glocksee mit GPC (Abkürzung für German Power Corporation, prä-TRASHING GROOVE, die wiederrum prä-TERRY HOAX) und 12-127-5600 MÖLLER - die restlichen Schülerbands hatten nichts mit Punk/New Wave zu tun... Noch Fragen?

schrottvogel hat gesagt…

Nö, erstmal nicht, vielen Dank! U nicht A, ok ok...

Hab mir gerade auch mal die Karte Hannovers angeschaut und gemerkt, dass UJZ Glocksee ja in Döhren liegt, ich dachte das wär ganz woanders.

Von SCHLEIM habe ich noch nie gehört, würde ich aber gern, da "Man of Stone" einer meiner Top sagen wir 20 deutsche Punk/Wave-Songs ist. Gibt's von denen irgendwelche Aufnahmen?

(Jetzt ist mir doch 'ne Frage rausgerutscht...)

martinf hat gesagt…

UJZ Glocksee in Döhren? Wer erzählt denn so einen Blödsinn? Die Glocksee liegt am westlichen Rand von Mitte anner Ihme, gehört aber mental eher zu Linden (Nord). In Döhren liegt die Glocksee-Schule...

schrottvogel hat gesagt…

Ui, Hannoveraner Geographie ist scheint's recht komplex... Oder ich zu schlampig.