14.12.12

Kulturaustausch

Vor einiger Zeit fiel mir eine Ausgabe der Zeitschrift "Kulturaustausch. Zeitschrift für internationale Perspektiven", herausgegeben vom Instituts für Auslandsbeziehungen, in die Hände. Thema der Ausgabe war "What? Wie wir fremde Sprachen übersetzen". Übersetzen von einer Sprache in die andere ist ja ein extrem spannendes Thema, wie mir zum ersten mal bewusst wurde, als mir das Suhrkamp-Buch "39 Gedichte" von Mao Tse-tung in die Hände fiel. Nun ist die chinesische Sprache ja ein ganz eigenartiges Gebilde, in dem viele Worte für Gegenstände aus mehreren Schriftzeichen bestehen. So setzt sich die chinesische Entsprechung für Bahnhof aus den 3 Schriftzeichen für Feuer, Fahrzeug und halten zusammen, diese Zeichen haben aber auch ein Eigenleben, die oft auch Symbol für bestimmte Emotionen oder gar ganze Mythen sind, wenn ich das richtig verstanden habe (ist schon einige Jahrzehnte her, dass ich den Gedichtband von Mao Tse-tung und seinen riesigen Anteil von Erläuterungen gelesen habe). Man kann das vielleicht mit den Worten "Autobahn" und "highway" als seiner Übersetzung ins Amerikanische vergleichen, die aus deutscher Sicht ganz unterschiedliche Vorstellungen hervorrufen - amerikanische Weite gegen deutschen Geschwindigkeitsrausch z.B. – oder auch die Frage, welches die richtige Übersetzung für "Himmel" ins Englische ist: "sky" oder "heaven"? Die beiden unterschiedliche Assoziationen von "sky" und "heaven", sie verbinden sich im deutschen "Himmel".
Als vor etwa 20 Jahren die deutsche Übersetzung von Lawrence Norfolks Roman "Lempriere’s Wörterbuch" erschien gab es eine Kontroverse unter Übersetzern, weil das Buch von der Form des englischen Gesellschaftsromans des 18. Jahrhunderts in die Form des deutschen Gesellschaftsromans der gleichen Zeit übertragen wurde und dazu ellenlange Kapitelüberschriften, die quasi den Inhalt des kommenden Kapitels zusammenfassen, eingefügt wurden, etwas, was im englischen Original nicht existierte. Oder auch die Tatsache, dass Günther Grass immer, wenn ein neues Buch herauskommt, Konferenzen mit seiner Übersetzern abhält, wo diskutiert wird, wie sich bestimmte Passagen oder Worte am besten in andere Sprachen übertragen lassen. In Magazin "Kulturaustausch" wird das anhand des norwegischen "Bluhund" beschrieben und der Frage, was eine deutsche Entsprechung für diese norwegische Hunderasse sein könnte – und dann sagt der norwegische Autor, dass er Hunde eigentlich nicht möge und es ihm völlig egal sei, wie der Übersetzer das Problem löst. Dabei macht das natürlich einen Unterschied, ob ich schreibe jemand geht mit einer Bulldogge spazieren oder er geht mit einem Mops Gassi. Ich glaube es war Martin Heidegger, der auch behauptete, seine Werke könne nur derjenige verstehen, der sie im deutschen Original lese. Und wenn man überlegt, dass die Kenntnis einer fremden Sprache noch lange keine Kenntnis der vielschichtigen Bedeutungsebenen, die Muttersprachler mit den Worten verbinden, beinhaltet, fragt man sich, ob eine wirkliche Kommunikation über Sprachgrenzen möglich ist, sogar innerhalb einer Sprache über Generationen oder soziale Grenzen hinweg. Seit "39 Gedichte" ist mein Vertrauen in Sprache erschüttert. All das hat mir die Zeitschrift "Kulturaustausch" wieder ins Bewusstsein gebracht. Und ich bezweifele, dass ihr meinen Gedankengängen hier folgen könnt (falls ihr es überhaupt wollt)...

Keine Kommentare: