Gestern schrie mich ein Plakat an: "In Deutschland ist Musik", und warb für eine neue Musikzeitschrift, die sich dem Genre Volksmusik - gemeint sind Schlager, Musical und volkstümliche Musik - widmet. An sich keine schlechte Idee, stecken hinter dieser Musik doch auch interessante Menschen und Geschäftsmethoden, wie z.B. Hans R. Beierlein, Manager von Udo Jürgens und der "Pate der Volksmusik" - auch wenn diese Musik jetzt glücklicherweise wieder weniger Platz im Fernsehen hat.
Und Menschen wie Roy Black (Herztod nach Alkoholismus) und Rex Gildo (Tödlicher Fenstersturz in geistiger Verwirrung) sind einfach auch jenseits ihrer musikalischen Verbrechen interessante tragische Schicksale. Doch auch die Lebenden wie Les Humphries (gab sich wegen immenser Steuerschulden vorübergehend als tot aus), Christian Anders (verwirrter Guru, der sich nackt an Zäune kettete, weil sein Bruder wegen politischer Korruption verhaftet wurde) und Stefan Mross (Trompeten-Dilettant) geben gute Stories ab - werden aber wegen musikalischer Scheuklappen leider von den angeblich seriösen Magazinen wie SPEX oder ROLLING STONE ignoriert. Also beschloss ich diesem neuen Magazin mit dem obskuren Titel "Auf eins" (hat das irgendwas mit dem Titel jenes Heinz-Rudolf Kunze Live-Albums "Deutsche klatschen bei der Arbeit" zu tun?) eine Chance zu geben.
Gut, ich bin vermutlich nicht wirklich die Zielgruppe der Hamburger HEIMAT2050 Verlags GmbH, aber das Interview mit Howard Carpendale zu seiner Rückkehr ins Musikgeschäft ist ganz okay. Howie überzeugt durch ehrliche Antworten, und bei mehr Recherche über seinen musikalischen Werdegang und ein paar kluge Nachfragen hätte man echt was rausholen können, aber das wollte Stephan P. Dressel wahrscheinlich nicht, es hätte vermutlich zu sehr nach seriösem Journalismus und zu wenig nach warmherzigen Goldene Blatt-Wortgeklingel geklungen. Denn der Rest der Zeitschrift ertrinkt im Gute-Laune-Schaum. Ich mein, dass die Kastelruther Spatzen seit 23 Jahren bei sich zu Hause in Süd-Tirol ein Fantreffen organisieren, zu dem über 40.000 Leute kommen, ist schon bemerkenswert, aber dass dabei kein Wort über die Bandgeschichte, die Erwartungen der Fans und den ehemaligen Sänger Andreas Fulterer fällt, ist schon schwach. Denn optisch hat sich die Redaktion Mühe gegeben, aus dem üblichen Sumpf herauszustechen einschließlich der scheinbar jetzt in Musikzeitschriften obligatorischen Modestrecke. Aber inhaltlich wird die Zielgruppe offenbar immer noch als wenig intellektuelle Masse, die nur positive Geschichten über Liebe, Familie und Heimat lesen will, begriffen.
Okay, das Schwesterngesangstrio "Schwesterherz" und das Brüdermusikertrio "Dorfrocker" an einen Tisch zu setzen, um sich mit ihnen über Familie und so zu unterhalten, ist schon im Ausgangspunkt ein Fehlgriff, weil junge Menschen eben noch nicht so viel Erfahrung und gute Geschichten zu erzählen haben. Zu dem Thema interessanter war letztens das Interview mit Jim Reid von "Jesus and Mary Chain" in SPEX 7-8/2007, wo Reid berichtet, dass Geschwister sich oft gegenseitig in der Hand haben, weil sie jede Wunde und Unsicherheit des anderen kennen. Die familiären Bande könnten eine starke Loyalität erzeugen, aber Kämpfe untereinander seien viel verletzender. Und der ROLLING STONE hat schon im Dezember 2004 viel interessanter und tiefschürfender über James Last geschrieben als Sabine Manecke das jetzt tut (und sollte es vielleicht mal demnächst über Howie tun, der sich möglicherweise nicht zu Unrecht als Deutsche Entsprechung zu Neil Diamond versteht). Was beweißt, dass dies Musik tatsächlich guten Journalismus verträgt und nicht bloß Hofberichterstattung, Kreuzworträtsel, Horoskope, Traumdeutung, Kochrezepte - mit einer peinlichen Fotostrecke mit den totgeschminkten Maria und Margot Hellwig -, Tourneedaten - okay, vielleicht ist die Zielgruppe nicht so internetaffin wie Rock- und Popfans - und Plattenbesprechungen mit maximal 50 Worten. Aber Nana Mouskouri - immerhin Gegnerin der griechischen Militärdiktatur der 1970er Jahre - hat für ihre Abschiedstournee nicht wirklich nur 60 Zeilen verdient. Und was haben die 6 Seiten über einen Burgenländer Winzer mit Musik zu tun? Und schließlich ist der offene Brief an Peter Alexander einfach nur peinlich. Woher nimmt sich diese junge schnöselige Redaktion das Recht, diesen alten Haudegen der sauberen Familienunterhaltung zur Rückkehr auf die Bühne aufzufordern in die Welt von Tokio Hotel und Aggro Berlin, wo er nur scheitern kann (schließlich funktioniert auch der Humor eines Heinz Ehrhard heute nur noch bedingt, weil das Wissen des Bildungsbürgertums, mit dem er damals spielte, heute stetig verloren geht - was ja auch das Erfolgsgeheimnis eines Günther Jauch ist)?
Dies war die erste Ausgabe, aber das kann noch besser werden. Schließlich war die erste Sendung von Schmidt und Pocher vor 4 Wochen ja auch eine absolute Katastrophe, die Anlass zu der Vermutung gab, Herr Schmidt wolle durch schlechte Sendungen ein vorzeitiges Ende des Vertrags mit der ARD erzwingen, etwas, was ja auch Rockbands gerne mal machen, indem sie mit der Vorlage absichtlich schlechter Demos Plattenfirmen dazu veranlassen, Optionen auf Fortsetzung von Verträgen nicht wahrzunehmen. Inzwischen sind Schmidt und Pocher deutlich besser geworden - auch wenn Pocher mit dem Lachen über Schmidts Witze doch echt nervt - und so gebe ich vermutlich "Auf eins" noch mal eine Chance - in der nächsten Ausgabe soll ein großes Interview mit Peter Kraus kommen, sowie ein Konzertbericht über "Pur" (beides eigentlich auch potentielle Themen des ROLLING STONE) -, denn wie gesagt, auch die Volksmusikszene hat trotz ihres schlechten Ansehens einige interessante Geschichten zu bieten, man muss nur bereit sein, sie auch zu schreiben.