6.8.11

Schandurteil

Wahrlich, dieses Urteil ist eine Schande für diejenigen, die glauben den Rechtsstaat damit zu verteidigen, indem sie anderen ihre Rechte nehmen – eine Rhetorik, die in unsere Zeit passt, wo die Freiheit mit freiheitseinschränkenden Anti-Terror-Gesetzen "verteidigt" wird. Sicher ist ein selbstmitleidiger Kindsmörder wie Magnus Gäfgen kein Sympathieträger, doch auch für ihn galt bis zur rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldvermutung (und irgendwie erinnert mich die aktuelle Empörung an den damaligen Aufruhr über Metallica versus Napster, wo Metallica wegen Napster sicher nicht in Armut gefallen wären, was aber nichts an dem prinzipiellen Problem Napster änderte) und daher war die unstreitige Folterdrohung der ermittelnden Beamten gegen Gäfgen rechtswidrig, was ja auch vor Jahren schon gerichtlich bejaht wurde (wobei die Beamten ja so doof waren, das selbst in den Akten zu vermerken, sonst hätte das Gericht dieser Aussage von Gäfgen vermutlich nicht geglaubt, andererseits war Gäfgen selbst so doof, das Geständnis vor Gericht zu wiederholen, weshalb seine sonstigen Rechtsmittel bis zum EMGR gegen seine Verurteilung als Kindsmörder ja ins Leere gingen und vermutlich das jetzt betriebene Wiederaufnahmeverfahren außer Spesen nichts bringen wird). Der Schmerzensgeldprozess ist da ja einfach nur ein Nachklapp.
Und da ich ja gerne immer vom Speziellen zum Allgemeinen komme behaupte ich jetzt einfach mal, dass diese "Empörung" auch ein Fortleben der alten nicht nur Nazi-Ideologie vom lebenswerten und lebensunwerten Leben ist (auch die Kommunisten haben ja den Wert eines Lebens danach sortiert, ob Kommunist oder Klassenfeind). Ein Kindsmörder wie Gäfgen wird da gerne unter "lebensunwert" einsortiert, doch ich frage mich immer, womit denn diejenigen, die das tun, den „Wert“ ihres eigenen Lebens im rechtfertigen? Oder sind sie bereit, sich ebenfalls von der Polizei foltern zu lassen, wenn die Polizei sie z.B. wegen eines tatsächlich unberechtigten Verdachts verhört? Nein, denn wie schon Heinrich Himmler am 4. Oktober 1943 in Posen auf einer SS-Gruppenführertagung in seiner berüchtigten Geheimrede ausführte: "'Das jüdische Volk wird ausgerottet', sagt ein jeder Parteigenosse, 'ganz klar, steht in unserem Programm, Ausschaltung der Juden, Ausrottung, machen wir.' Und dann kommen sie alle an, die braven 80 Millionen Deutschen, und jeder hat seinen anständigen Juden. Es ist ja klar, die anderen sind Schweine, aber dieser eine ist ein prima Jude." Es gibt Prinzipien, die darf nicht aufweichen, will man nicht selbst Opfer der Ausnahme werden (bitte jetzt nicht als Sympathie für die "Prinzipientreue“ eines Heinrich Himmler verstehen, denn wie sagte schon ein Oskar Lafontaine: "Helmut Schmidt spricht weiter von Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Machbarkeit, Standhaftigkeit. [...] Das sind Sekundärtugenden. Ganz präzis gesagt: Damit kann man auch ein KZ betreiben." Es kommt eben auf die Werte an, die hinter einem Prinzip stehen).

PS: In einer kollektiven Verschwörung scheinen viele Medien möglichst unvorteilhafte Fotos von Gäfgen zu publizieren. Auch so kann man Stimmung machen.

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