Vor etwa 6 Wochen hat Lucky eine Live-Aufnahme von der französischen Rock-In-Opposition-Band Etron Fou Leloublan von 1982 gepostet, was mich daran erinnerte, dass bei mir auch noch ein Mitschnitt vom 9.4.1983 aus dem Pavillon in Hannover auf der Festplatte schlummerte, den ich mal für eine selbstgebrannte CD auf unter 80 Minuten zusammengeschnitten habe. Aber keine Angst, es fehlen weder Musik noch die genialen Ansagen, nur ein bisschen Applaus. Dies war der zweite Auftritt der Band in Hannover und in meiner Erinnerung war er nicht ganz so prächtig wie der erste, was aber vermutlich daran lag, dass der Überraschungseffekt fehlte. Im Vergleich zur Aufnahme aus Cleveland find ich die Band trotzdem leidenschaftlicher, dafür ist es halt nur eine Cassettenrecorderaufnahme aus dem Publikum heraus. Als Bonus gibt es hier noch zwei Zitate aus dem StumpfS-Fanzine:
etron fou leloublan, 16-1-82, raschplatzpavillon (hannover)Etron Fou Leloublan live Hannover "Pavillon" 9.4.1983
es war mal an der zeit/mich von den klängen der letzten pogorevolution zu erholen/neue welle new wave und umgekehrt sein zu lassen/neue musik/neue töne/neue klänge für mein eingefahrenes ohr zu suchen//da kamen etron fou leloublan genau richtig//das einzige/was ich von ihnen kannte/war "hep!' vom miniatures-sampler - den mußt du einfach kennen/den sampler/wenn nicht/darfst du dich jetzt als armes ungebildetes würstchen fühlen und mir einen bösen brief schreiben - und "hep!" hatte nicht viel mit ihrem aktuellen programm zu tun//sie begannen ganz einfach/sie spielten ihre musik/ohne show/ganz ehrlich//der bassist - sah total unauffällig aus - erklärte vor jedem stück auf englisch den inhalt/text/und danach schienen mir ihre texte/naja/nicht hochliterarisch/mehr essay-haft? zu sein/oder kurzgeschichten/jedenfalls ein stück hieß "christine" und handelte von einer jungen frau/die im zug nach marseille ihr baby verliert/es total verzweifelt sucht/auf einer kleinen station aussteigt um hilfe zu holen und der zug fährt ohne sie weiter/und sie heiratet schließlich den wirt von der bahnhofsgaststätte//und so war auch ihre musik - jetzt rein gefühlsmäßig beschrieben - //bass/schlagzeug/e-piano/saxophon//der schlagzeuger hatte einen
roten anzug und grünes hemd und sein drum-set war mit einer kinderzimmer-tapete/motiv dschungel/beklebt/und er war ein jazz-schlagzeuger//das hört sich jetzt unheimlich doof an/aber wenn man einen jazz-drummer mit einem rock-drummer vergleicht/dann kannst du den letzteren glatt vergessen//dieser hier war zudem sehr wild und furios und witzig zudem//er hatte ein wirklich schönes solo/und das ist ja bei einem jazz-drummer was anderes als bei nem rock'n'roll-animal//manchmal griff er auch zum saxophon/und das waren dann mit die schönsten passagen/es erinnerte teilweise an kirchliche musik des mittelalters/das ist jetzt natürlich auch wieder ein dämlicher vergleich/aber genau das hab ich dabei empfunden/ganz ruhige töne/ganz einfache melodien/etwas melancholisch/aber nicht deprimiert//dann griff auch die e-piano-spielerin zur trompete//sie hatte rote strumpfhosen an und ein bedrucktes weißes kleid/und der saxophonist hatte einen grauen anzug an und eine seltsame brille/aber eins muß man ihnen lassen/sie hatten wirklich stil/geschmack/wenn ich überlege/was andere leute so für klamotten auf der bühne tragen//was saxophon und bassist und e-pianistin musikalisch gemacht haben/läßt sich im einzelnen nicht aufzeigen/es war ein kompakter/aber auch sehr klarer gruppensound/der sich wohltuend von der durchschnittlichen jazzmusik alter und neuer prägung abhob/zu deutsch/dieses konzert hat mich überhaupt nicht genervt/sondern genau das gegenteil!/es traf mich genau in herz und beine//
(aus StumpfS 6/82 vom 15.5.82)
ETRON FOU LELOUBLAN (Pavillon, 9.4.'83) "Again, Etron Fou Leloublan, in this town". Nach dem euphorischen Artikel von Martin in STUMPFS 6/82 mußte ich diese Gruppe auch erleben ‚ allein um sie überhaupt mal aufzunehmen. Die Gruppe glaube ich gibt es schon seit etwa 10 Jahren. Früher spielten sie zu dritt, Bernard, Guigou und Ferdinand, und waren "more physical", was Ihr z.B. bei "Hep!" vom Miniatures-Sampler nachvollziehen könnt. Aus dieser Zeit stammen so 3Lps, u.a, eine Live-Lp aus den USA. Seit 1981 spielt Jo mit, und Ferdinand meint, ihre Musik habe sich durch sie sehr verändert. Ich würde sagen sie ist ruhiger und differenzierter geworden. Ihre neue Lp "Les Poumoms Gonfles" (etwa "stolzgeschwellte Lungen"), wurde schon 1981 aufgenommen, ist aber erst jetzt auf Turbo Music erschienen (vielleicht hat sich die Gruppe mit Celluloid zerstritten). Produziert wurde die Lp von Fred Frith (den ELF auf dessen "Gravity"-Lp begleiteten). Sie klingt verspielter und unterscheidet sich somit wohltuend von dem Live-Druck, aber sie steht ihm in nichts nach. 5 Stücke von ihr spielten EFL diesmal. Nebenher laufen noch Solo-Lps. Bernard hat eine Märchen-Platte über einen Jungen und Roboter gemacht, und Ferdinand hat versucht ein Pop-Platte zu machen, was aber, so meint er, nicht gelungen ist, da sie für Pop zu schräg ist. Könnte interessant sein. Etron Fou Leloublan haben sich gegenüber dem letzten Mal kaum verändert, was auch nicht nötig ist, da ihre Musik ziemlich einzigartig ist. Das Konzert war mäßig besucht, die Vorgruppe Voxtrott (eigentlich sollten Jimmy, Jenny und Jonny spielen) bot ein für meine Begriffe uninspiriertes Konglomerat aktueller Jazz-Tendenzen (Defunkt, Zigeuner-Jazz etc). Bäh. Aber dann war es überstanden und EFL legten los. Die Musik schien mir nicht so kraftvoll und frisch wie heim letzten Mal, aber in der Erinnerung verklären sich solche Ereignisse immer und Voxtrott hatte mich ziemlich mitgenommen/ermüdet. Im Endeffekt war das Konzert dann doch beeindruckend, gradezu euphorisch/erfrischend, meine Müdigkeit war weggeblasen. Soll ich sagen, was mir am besten gefiel? "Nicolas" und "Pas'l'sou", sowie die ruhigen "Les Alsaçinne" und "Quiet Song". Mehr fällt mir jetzt um Mitternacht kurz vor Redaktionsschluß nicht ein, und Martin drängt mich. Also, das nächste Mal gehst Du auch zu Etron Fou Leloublan, versprochen?
PS: Jetzt hätt' ich glatt vergessen Euch zu erzählen, was EFL überhaupt für eine Musik machen. Das ist ja das wichtigste überhaupt, denn dann wüßtet Ihr garnicht, was Euch erwartet, und seid mir hinterher böse - und das wollen wir doch nicht (Obwohl, ohne zu wissen was läuft, in ein Konzert zu gehen könnte sehr interessant werden). Also Jo spielt Farfisa-Orgel und Trompete, Bernard bis zu zwei Saxophone gleichzeitig - oder war das
Guigou? Der spielt meistens Schlagzeug und Ferdinand spielt Bass und singt. Zusammen klingen EFL wie eine vollkommen neue Mischung aus Rock, Jazz und "Volks"musik. Ihre Melodien sind schön/schräg, der Bass wird oft als Gitarre eingesetzt, das Schlagzeug ist jazzig/verzwickt/straight, die Instrumente spielen miteinander/gegeneinander, es klingt wild/lyrisch, aber immer neu und unerhört. Fast des Beste aber sind Ferdinands englische Erklärungen zu den Texten wie zB. bei "Le Lavabo", eine dumme Geschichte: ein Mann (40) will sich seine Zähne putzen. Er bemerkt, daß jemand vor ihm seine Zahnpasta benutzt hat. Er findet den Deckel der Tube unter dem Waschbecken, und als er sich aufrichtet, schlägt er heftig mit dem Kopf gegen das Becken, was sein Leben total ändert. Tja, so kanns einem ergehen... 19/7/83
(aus Stumpfs 19/83 vom 20.7.83)
Nicolas / Nicole / Lavabo / Emoi / Exposition universelle / Nouveau / Present de la negatif / Et qu'cet air-là / Les vitres / Les Alsaciennes / Phare plafond / Le jeu, l'alcool et les femmes / L'enfance de Guigou / Pas'l'sou / C'est pas bien / Christine / Emoi
Ferdinand Richard: bass, vocals / Jo Thirion: Farfisa organ, piano, vocals / Bruno Meillier: saxophones / Guigou Chenevier: drums, tenor saxophone, vocals (download)
Short summery: Lucky posted a few weeks ago a live recording by the great Etron Fou Leloublan - and here is another live tape from Hannover, Germany, recorded 4 months later. Enjoy!