Noch ein Wunsch, diesmal von anonymus nr. 2, der erste No-Fun-Sampler von 1980, die erste Veröffentlichung des neu gegründeten NO Fun-Labels aus Hannover (die zweite war die Nachpressung der ersten Hans-a-plast-LP, die bereits 1979 erschienen war). Wie bei allen Städte-Samplern gibt es Höhen und Tiefen, wobei zu sagen ist, dass die Tonkooperative Hannover gute Arbeit geleistet hat: das großartige "Wald" von Phosphor klingt im Rough-Mix echt gestümpert und der "Auftritt" von Rosa war wirklich nur Scheiße, wie die aus dem öffentlichen Probeabend absoluter Nichtskönner noch einen Song herausgefiltert haben, da kann ich nur Hut ab sagen. Hut ab übrigens auch vor den beiden Daily Terror-Stücken. Die Braunschweiger machten dann noch 'ne Single bei No Fun, zerstritten sich allerdings dann mit dem Label und veröffentlichten eine Hass-Single bei Aggressive Rockproduktionen, wobei mir bis heute der Grund des Streits unbekannt ist. Dass die LP im Mai 1980 ausgerechnet von dem Label-Konkurrenten Alfred Hilsberg in SoundS etwas nörgelig besprochen wurde kam bei Hollow Skai und Co. gar nicht gut an:
IN DIE ZUKUNFT
Konnekschen KonLP 3
GERÄUSCHE FÜR DIE 80er
No Fun 002[sic!]
NO FUN SAMPLER
No Fun 001
Von Diedrich Diederichsen und Alfred Hilsberg
Es geht rasend bergauf mit uns. Wer hätte das gedacht? Wir sind wieder wer! Das neue deutsche Welle-Wunder.
Und bei solch rasanten Entwicklungen ist es ärgerlich, daß der zweite Hamburg-Sampler, IN DIE ZUKUNFT, aufgenommen beim zweiten Markthallen-Festival (vgl. SOUNDS 8/79) im Juni 1979, erst jetzt erscheint. ZK und Male haben inzwischen Singles herausgebracht, die sie in ganz anderen Entwicklungsstadien zeigen, die Geisterfahrer hörten sich schon im letzten Winter auf der Bühne ganz anders an und von ihrer neuen Single erwartet man ja auch einiges. Hans-A-Plasts Anette steht bei ihrem gesprochenem Intro zu "Es brennt" offenbar unter Druck, jedenfalls gelingen ihr die dramatischen Pausen und Akzente nicht so gut wie auf der eigenen LP, DIN A TESTBILD klingt ziemlich matschig, Big Muff und die Buttocks sind mir zu Hamburgisch und die Stimmung, die während des KFC-Auftritts geherrscht hat, kommt nur zur Hälfte rüber. Was die Platte als Ganzes jedoch sehr gut dokumentiert, ist der brodelnde, verwirrte, hitzige Zustand, in dem die deutsche Szene damals steckte. Als alle Initiativen, Labelgründungen etc, noch im Anfangsstadium steckten. IN DIE ZUKUNFT ist nicht konsumierbar, wie etwa der NO FUN-SAMPLER, der einander ähnliche Bands auf ähnlichem Niveau und mit ähnlichen musikalischen Zielen präsentiert und den man sich als Punk- oder Neo-Rock-Fan bedenkenlos zu- und auflegen kann, aber IN DIE ZUKUNFT bringt die Roots, das unkontrollierte Urmagma.
GERÄUSCHE FÜR DIE 80ER vom dritten Martkhallen-Festival (vgl. SOUNDS, 2/80) ist zwar auch sehr heterogen, hat aber mit nur fünf Bands größere Komplexe, denen sich der Zuhörer widmen kann. Abwärts gefallen mir zwar auf ihrer Single besser, aber auch hier gibts schöne Momente. Eine Überraschung waren für mich die Salinos, die ich live versäumt hatte, und von denen mir irgendwelche Idioten berichteten, das wäre nichts gewesen. Allein die zwei Songs auf der LP gehören zum Lustigsten und Intelligentesten seit Mittagspause. Auszug aus dem ."Juso-Rock": "Rock macht doof/Rock macht tot/Rock macht bekloppt/.../Das ist der Juso-Rock/.../Bei Rock gegen Rechts rufen alle im Chor/Strauß zurück und Helmut vor/Das ist der Juso-Rock/Die Boomtown Rats, die Rolling Stones spielen doch seit Jahren schon/Den Juso Rock/.../Rock 'n Roll/furchtbar/Disco-Musik/furchtbar/Jazzrock/furchtbar/Rockmusik ist Valium..." Auch die Ansage dieses Stücks ist toll. aber leider zu lang zum Zitieren. Danach kommen die Razors, die ich nicht mag. Wenn Bands schon musikalisch nicht sehr originell sind, sollen sie wenigstens deutsch singen.
Auf der zweiten Seite dann vier Stücke von Liebesgier, der Höhepunkt der LP. Und da mir von Plänen der Gruppe, eigene Platten zu machen, nichts bekannt ist, machen allein diese vier Stücke den Kauf des Samplers lohnenswert. Selten so kraftvollen Gesang, so energetisches Spiel, so prägnante Texte gehört. Selten so viele gute Ideen, zwischen Dada und Teenage Jesus. Dreimal Pfui über das stinkblöde Publikum, das pfeift und schimpft, statt auf den netten Vorschlag der Sängerin zu reagieren, "doch rauszugehen, wenn es euch nicht paßt". Daß hie und da ein paar Sachen unsauber oder falsch klingen, macht überhaupt nichts: Wer kann schon gegen so einen Druck anspielen. Und: Wir alle werden als Dilettanten geboren.
Den fröhlichen Ausklang bringen die Coroners. Das "Alcohol" und "Anarchy"-Geschrei ist vielleicht ein wenig langweilig, aber die "Ihr Kinderlein Kommet"-Pogo-Version ist ein Meisterwerk: "Jesus, die Drecksau is heute geborn/Ihr Kinderlein kommet doch all!"
Im Gegensatz zu den beiden Hamburg-Samplern präsentiert der NO FUN SAMPLER, nur die sehr große Szene einer Stadt, Hannovers, und hierzu nun Alfred: Städte-Sampler haben ihre Nachteile; am Einerlei manches englischen Albums ist das nicht zu überhören. Last not least ist auch hier von den meisten Gruppen nur ein Stück zu hören - die Schubladen und eine Sternchen-Verteilung gefährlich nah für vorschnelle Urteile. No Fun - der Sound einer City? Schon eher, aber was ist Hannoversch dran?
Die Splizz, eine aus Rotzkotz hervorgegangene und schon wieder aufgelöste Gruppe, wärmt einen zum Anfang richtig auf. Auch wenn's am Schluß ins Traditionelle abrutscht, die Gruppe hatte überdurchschnittliche musikalische Qualitäten. Und Phil ist ein starker Sänger. Folgen die Cretins mit einem makabren Song, der "Dachau Disco". Überraschend gut für eine Kid-Band. Deutsche Texte, wie auch beim Modernen Mann, die für mich auf der Studio-EP etwas konzentrierter-überzeugender wirkten.
Von 39 Clocks dürfte noch mehr zu erwarten sein. Ohne Schlagzeug, dafür mit Rhythmus-Maschine, haben sie - mangels Live-Aufnahme - ein im Studio produziertes Stück beigesteuert. Schade, daß sie englisch singen. Hans-a-plast am Schluß der ersten Seite mit "Amerikaner" so gut wie eh und je. Schade, daß kein neues Stück von ihm aufgenommen wurde. Ganz abwechslungsreich, die gesamte A-Seite. Zum Verwechseln ähnlich dagegen einige Aufnahmen der B-Seite. Peinlich fast das Stück von Rosa ("De Sade war hart"). Ihrem Pogo-Revival entsprechend annähernd auch Schwanz kann's ("Ich und mein Schwanz") und Phosphor ("Wald"). Und selbst noch bei Kaltwetterfront (,,Disco Boy") könnte man meinen, alle diese halb-harten-halb-schnellen Bands hätten den gleichen Sänger.
Daily Terror aus Braunschweig zählen zu den Höhepunkten der Platte. Zwei gegensätzliche Stücke: "Andere Zeiten" mit Anleihen beim Reggae, "Schmutzige Küsse", ein reichlich pogoiger Song mit Gitarrensolo. Rotzkotz ("No Name") merkt man die langjährige Erfahrung an; ihre Professionalität kommt auf dieser einen Aufnahme genausowenig zur Geltung wie die Qualitäten anderer Gruppen.
No Fun - ein Muß? Zumindest eine erste Information für alle Auswärtigen. Die Pogo-Fans werden die Platte mögen, und die anderen werden sich ihre Rosinen herauspicken. Fazit: Etwas weniger Bands und etwas mehr Aufnahmen von jeder Gruppe hätten dem Hannover-Sampler gut getan. Und warum immer noch englisch gesungen wird, ist mir ein Rätsel.
"HanNOver Fun FUN Fun"
Splizz "Tripping on Minster Beach (GB)/Private keep out" / Cretins "Dachau-Disco" / der Moderne Man "Das Disco-Lied" / The 39 Clocks "39 Explosion Heats" / Hans-A-Plast "Amerikaner" // Rosa "De Sade war hart" / Daily Terror "Andere Zeiten" / Daily Terror "Schmutzige Küsse" / Schwanzkann's "Ich und mein Schwanz" / Kaltwetterfront "Disco Boy" / Phosphor "Wald" / Rotzkotz "No Name"
Abgemischt von Rainer von der Tonkooperative
NoFun Records NF 001, LP, 1980 (
Translation: This is the first punk-compilation from Hannover from 1980 with exclusive live-recordings, although only 3 bands could be described as punk in a dogmatic sense...