20.8.19

Mit Rechten reden?

In seinem Kommentar "Wie man mit Fanatikern redet - und warum" auf SPIEGEL online in Bezug auf den Dialog zwischen AfD-Mann Thomas Naulin und Bundeskanzlerin Angela Merkel erwähnt Christian Stöcker das Buch "Wie man mit Fundamentalisten diskutiert, ohne den Verstand zu verlieren - oder Anleitung zum subversiven Denken" von Hubert Schleichert, über das ich vor 14 Jahren nachfolgende Rezension geschrieben habe. Die Transferleistung, die dort vorgeschlagenen Diskussionsmethoden auf den Dialog mit der AfD zu übertragen überlasse ich im Vertrauen auf deren Intelligenz meinen Leser*innen:
Hubert Schleichert "Wie man mit Fundamentalisten diskutiert, ohne den Verstand zu verlieren - oder Anleitung zum subversiven Denken" (C.H.Beck, München 1997)

Der Titel des Taschenbuchs suggeriert möglicherweise, Hilfe bei Diskussionen mit Fundamentalisten, worunter aktuell zumeist Islamisten verstanden werden, auch wenn es auch andere Arten von Fundamentalismus gibt, zu bekommen, doch darum geht es Schleichert nur indirekt. Er versucht vielmehr auf der Metaebene zum einen die Struktur und Logik von Argumentationsformen aufzuzeigen, zum anderen anhand vergangener theologischer Dispute die grundsätzliche Unmöglichkeit einer erfolgversprechenden Argumentation mit Fundamentalisten darzulegen. Gleichzeitig aber zeigt er Möglichkeiten auf wie der Streiter für Vernunft Fundamentalisten innerhalb einer Glaubensgemeinschaft isolieren kann. Wie dies auf die aktuelle Islamistendebatte übertragen werden könnte, das können die Leser selbst ableiten, nur die passenden Argumente muss sich jeder dann selbst erarbeiten (was ja durchaus sinnvoll ist). Die von Schleichert beschriebenen Methoden lassen sich übrigens auch auf das politische Tagesgeschäft anwenden, in jedem Fall aber schärfen sie den Blick auf jede Art von Argumentation, weil Schleichert eben die zu Grunde liegenden Mechanismen/Formeln offen legt.


Im ersten Teil des Buchs stellt Schleichert die Logik des Argumentierens und häufige Fehler und Fallgruben dar. Wichtig ist dabei der Hinweis, dass Argumentationsketten oft unvollständig vorgetragen werden, weil die Urheber davon ausgehen, dass Teile der Beweiskette bekannt und/oder unstrittig sind. Ob das stimmt muss in jedem Falle einzeln überprüft werden, denn nur so lassen sich Missverständnisse ausschließen und zusätzliche Angriffspunkte finden. Aber selbst bei vollständiger Übersicht über alle Glieder einer Argumentationskette ist Vorsicht geboten, schließlich kann der Gegner sogenannte "red herings" auslegen, also falsche Spuren/Argumente, die den Kritiker in die Irre führen und damit aushebeln.


Die folgenden zwei Kapitel beschäftigen sich mit Argumenten für und wider von theologischer Intoleranz und Toleranz anhand des Falls des auf Betreiben von Calvin 1553 in Genf auf den Scheiterhaufen verbrannten Gelehrten Servet und der daraus folgenden Kritik am Verhalten Calvins. Das frustrierende Ergebnis dabei ist, dass die Argumente beider Seiten einer gewissen Logik (wie moralisch verwerflich sie auch sein mag, aber das ist ja nur ein subjektiver Blickwinkel) nicht entbehren, aber genauso beide Seiten in der Auslegung der Bibel willkürlich, d.h. nicht logisch sauber vorgehen - weil die Bibel als Grundlage des Glaubens selbst kein in sich schlüssiges Werk ist und daher beiden Seiten Argumente liefert.


Im nächsten Kapitel beschäftigt sich Schleichert dann mit den Unterschieden zwischen sogenannter "interner" und "externer" Kritik. Während die externe Kritik (meist von Außenstehenden geäußert) als Generalangriff auf den jeweiligen Glauben empfunden werden kann und daher oft auf generelle Ablehnung trifft, kann die interne Kritik (meist von Mitgliedern der Glaubensgemeinschaft formuliert), die auf der teilweisen Anerkennung der religiösen Dogmen beruht und die jeweilige "Untat" als Irrtum oder fehlerhafte Auslegung der (unstreitigen) Glaubensprinzipien verurteilt, auch als grundsätzliche Zustimmung zum Glauben verstanden werden. Welche Kritikform jeweils möglich ist hängt aber von den Machtverhältnissen ab. So wäre zu Zeiten der Hexenverbrennung ein externer Kritiker eher auf dem Scheiterhaufen gelandet als ein interner, während heute interne Kritiker wie z.B. die Herren Küng und Drewermann von der Mehrheit der Bevölkerung eher belächelt werden, weil sie sich an der Auslegung religiöser Dogmen abarbeiten, die viele in der Bevölkerung nicht mehr ernstnehmen, bzw. ganz aus ihrer eigenen Weltanschauung verbannt haben.


Wo ist also der richtige Ansatzpunkt für die Vertreter der Vernunft? Es ist laut Schleichert die Erkenntnis, dass Glaubensgemeinschaften nicht nur aus Fundamentalisten, die die Dogmen ernst nehmen (was an sich nichts Verwerfliches ist!), bestehen, sondern auch aus Mitgliedern, die sich eher opportunistisch verhalten, also religiöse Vorschriften beachten oder missachten, je nachdem wie es ihnen nützt, wobei der Nutzen jeweils ökonomisch, sozial oder metaphysisch sein mag. Die meisten Menschen wachsen als Kinder in einen Glauben hinein und pflegen ihn als Erwachsene aus Gewohnheit, ohne sich je tiefer mit den Glaubensgrundsätzen und ihrer Begründung zu beschäftigen. Dies ist der Ansatzpunkt der Aufklärung, nämlich die Erwachsenen dazu zu bewegen, sich erneut - oder auch erstmalig - mit ihrem Glauben auseinander zu setzen und dabei ihre Gewohnheiten selbstkritisch zu überprüfen, indem die Aufklärer ihnen die dogmatischen Konsequenzen ihres Glaubens vor Augen führen. Schleichert nennt dies die "subversive" Argumentation und er zitiert fleißig Voltaire und andere Aufklärer, die mit Genuss die Widersprüche des Christentums aufdeckten und so ihre Mitmenschen zum Nachdenken zwangen. Implizit geht Schleichert dabei davon aus, dass kein religiöses System in sich widerspruchsfrei ist, gerade schon deshalb, weil sich jede Religion für die einzig wahre hält und "Ungläubige" - und schlimmer noch "Häretiker", also Abweichler von der wahren Lehre, nicht weil sie unwissend sind, sondern weil sie die Wahrheit kennen und trotzdem von ihr abgefallen sind - verfolgt, bzw. Regeln zu deren Unterdrückung bereithält, die Anwendung der diesen gegenüber zulässigen Grausamkeiten aber gegenüber ihren eigenen Anhängern schärfstens verurteilt. Schleichert weist darauf hin, dass solche Kritik und Aufklärung auch heute noch notwendig sind, weil die inhumanen Dogmen von der katholischen Kirche zwar gerne verschwiegen, relativiert und von vielen ihrer Anhänger auch einfach missachtet werden (siehe Abtreibung, Pille, Kondom) aber widerrufen werden sie eben auch nicht, weil dies an den Grundsätzen des Glaubens rütteln und das Papsttum sich damit selbst entmachten würde. Weil diese Regeln weitergelten können sie auch jederzeit wieder angewendet werden, weshalb der Kritiker auch heute noch wachsam sein muss und in seinen Angriffen nicht nachlassen darf, auch wenn die Kirche oberflächlich zurückweicht. Das gilt logischerweise auch für Kritik am Faschismus, Kommunismus und allen anderem Ismen (ja, auch wenn es weh tut, das gilt auch für Anarchismus und Buddhismus).


Gleichzeitig aber warnt Schleichert vor dem Glauben, allein mit der subversiven Kritik das Problem lösen zu können. Denn "Glauben" heißt nicht nur "nicht wissen", sondern vielmehr an etwas festhalten, dass sich weder beweisen noch widerlegen lässt. Damit ist eine Widerlegung der Grundlagen eines Glaubens argumentativ unmöglich. Was aber möglich ist, ist bei den Glaubensanhängern durch Darstellung vergangener Glaubensstreite, die heute fast vergessen sind, und Widersprüchen in den theologischen Texten Zweifel an der Unerschütterlichkeit von Glaubensgrundsätzen zu wecken, und durch Aufzeigen anderer Formen von Glauben und Götterverehrung Unsicherheit zu erwecken, ob die eigene Religion die allein seligmachende ist. Das Ergebnis davon wäre, dass die Entscheidung, was jemand glaubt und was nicht allein bei diesem alleine läge, sozusagend eine reine Geschmacksfrage - über Geschmack lässt sich aber nicht streiten, weil es keinen objektiven Maßstab gibt, an dem richtiger oder falscher Geschmack ermittelt werden kann. Und genau so gibt es keinen "wahren" Glauben, weil sich die Richtigkeit einer Götterverehrung, ja nicht einmal die Existenz von Gott beweisen lässt. Und weil es keinen Beweis gibt, gibt es auch kein Recht jemanden wegen seines (abweichenden) Glaubens zu unterdrücken, berauben oder gar zu verbrennen. Das wäre dann die Toleranz der Vernunft: wo ich etwas nicht beweisen kann muss ich die Meinung des anderen akzeptieren - und dieser muss meine Meinung hinnehmen..


PS: Es hat den Anschein, dass die "Theorie" des "intelligent design", also dass die Evolution zum Menschen ohne gelegentlichen Eingriff eines "Schöpfers" nicht möglich gewesen sei, aus den Methoden der Aufklärung gelernt hat. Aber das bezieht sich nur auf die argumentative Ebene, im Kern dieser Theorie geht es weiterhin um den Glauben an eine interventionistische Gottheit, eine die Wunder bewirken und damit die Naturgesetze außer Kraft setzen kann - und die der Gläubige mittels Gebete, Opfergaben oder auch Voodoo gütig stimmen/beeinflussen/manipulieren kann (aber Gebete funktionieren glücklicherweise ja nicht, weil sonst wäre die Menschheit schon längst ausgestorben bei all den Todeswünschen). Doch mit einer solchen Gottheit kommt der Gläubige immer in Erklärungsnöte bei Naturkatastrophen oder auch dem Holocaust, weil jegliche Sinnsuche dahinter, warum Gott jemanden ein solches Schicksal zugedacht haben könnte nur in Unerklärlichem endet. Nur eine nicht-interventionistische Gottheit lässt sich mit der Wissenschaft in Einklang bringen - auch wenn sich dann die Frage stellt, wozu es eine Gottheit als Erklärung der Entstehung des Universums bräuchte, wenn sie an den bestehenden Naturgesetzen nichts ändert. (Die dritte Glaubensart ist dann der Glaube, selbst zu einer Gottheit aufsteigen zu können (wie im Satanismus von Alistair Crowley, den ganzen OTO-Logen, Scientology und so weiter), wobei sich aber auch hier die Frage stellt, warum Gottheit werden, wenn man eh nichts an den Naturgesetzen ändern kann - auch diese Glaubenslehren funktionieren nur mit der Figur einer interventionistischen Gottheit.)

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