4.10.23

Leseprobe

Eine neuere Erscheinung in der Verlagsbranche ist das Aufblähen von Seitenzahlen mit sogenannten Leseproben, die bei Gefallen des Textes die Leser*innen dazu animieren sollen, auch weitere in dem Verlag erschienene Bücher von dem/der gleichen Autor*in zu erwerben. Früher hatte man sich damit begnügt einfach nur weitere Buchtitel auch von anderen Autor*innen aufzulisten, teilweise mit kurzen Inhaltsangaben, Abbildungen der Titel (haben anders als bei Schallplatten, CDs etc. die Autor*innen kein Mitspracherecht an der Gestaltung ihrer Bücher oder warum verändern sich die Buchumschläge von Land zu Land und von Auflage zu Auflage, so auch bei Walter Moers "Wilde Reise durch die Nacht"?) und Zitaten aus Rezensionen. Inzwischen gibt es Leseproben bereits als eigenständige Veröffentlichungen, entweder als kostenloses kleines Heft in DinA6-Format oder sogar zu kaufen wie aktuell ein Auszug aus dem dritten Oktopus-Buch vom Drogerie-König Rossmann (die kostenlosen Hefte zum "Gratis Comic Tag" sowie die Taschenbücher zum "Welttag des Buches" sind zwei andere Themen). Leseproben kann man im allgemeinen überblättern, es sei denn die entsprechenden Bücher sind noch nicht von dem/der Autor*in fertiggestellt worden.
Walter Moers "Weihnachten auf der Lindwurmfeste" von 2018 enthält eine Leseprobe aus dem 2019 erschienen Buch "Der Bücherdrache". Der Text der Leseprobe findet sich in der Veröffentlichung von 2019 auf den Seiten 74-81 mit einzelnen Veränderungen, wobei es den Anschein hat, dass die Idee, dass der Buchling Hildegunst Zwei Herrn von Mythenmetz von seiner Begegnung mit Nathaviel erzählt, zu Zeiten der Leseprobe noch nicht existierte. Die in der Leseprobe enthaltenen Abbildungen finden sich in der späteren Veröffentlichung auf den Seiten 46/47, sowie in veränderter Version auf Seite 164.
Walter Moers "Der Bücherdrache" enthält wiederum eine Leseprobe aus dem gerade erschienen Roman "Die Insel der 1000 Leuchttürme", diesmal ohne Angabe eines voraussichtlichen Veröffentlichungstermins. Trotz der Differenz von 4 Jahren zwischen Leseprobe und tatsächlicher Veröffentlichung sind auch hier die Änderungen eher gering. Auffällig ist dass die Karte von Eydernorn einige Änderungen enthält, so fehlen in der Leseprobe die Standorte der Leuchttürme sowie der Kanal zwischen Klein-Hafing und Eydergard, was vermuten lässt, dass die Idee eines Kanals erst später entstand (sie hätte bei dem Textstelle mit "Westlichen Wirbel" und "Nebula Eterna" im ersten Brief Erwähnung finden können, taucht aber erst im zweiten Brief auf). Im übrigen sind die Änderungen am Text eher gering außer dass aus dem Schwarzhai ein Sharkodil wurde und die Beschreibung der Segel der Quoped eingefügt wurde. Der Titel des Textes "Erster Brief" sowie das Zitat von Amphlora Selenword und das Eydernorner Sprichwort sind bereits vorhanden, so dass sich nicht abschätzen lässt inwieweit der übrige Romantext bereits 2019 weitgehend abgeschlossen war und ob es größere Überarbeitungen in der Zwischenzeit gab (oder umgekehrt die Existenz der Leseprobe eine größere Umarbeitung dieses Textabschnitts verhinderte). Vermutlich aber sind die Zeichnungen erst später entstanden.
Interessanterweise enthält das Buch keine erneute Leseprobe für den für Oktober 2014 angekündigten Roman "Das Schloss der träumenden Bücher". Ob damit die Zamonien-Literatur ihren Abschluss findet ist nicht bekannt, die Zeile "Weitere Zamonienbände sind geplant, einige davon in Arbeit, teilweise schon seit Jahren" auf der Webseite von Walter Moers lässt keinen eindeutigen Schluss zu.
PS: Versteckt im dritten Brief findet sich im übrigen eine literarische Sensation, denn die Gedichte von Doktor Tefrint De Bong fanden bereits vor über 100 Jahren im Deutschen Reich unter dem Pseudonym Gottfried Benn einen Verleger.

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