23.7.24

Hinweise zum Verbot von Jürgen Elsässers Compact

Die Diskussion über das Verbot des Compact-Magazins ist ein Beispiel dafür, dass Begriffe juristisch und umgangssprachlich durchaus unterschiedliche Bedeutung haben, so dass Diskussionen oft an sprachlichen Missverständnissen leiden und gegeben falls auch scheitern. Das gilt selbst für Journalist*innen und Politiker*innen.

Rechtsgrundlage der Verbotsverfügung ist § 3 Abs. 1 des Vereinsgesetzes, der explizit auf Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes Bezug nimmt. Wie immer ist es hilfreich nicht nur die konkrete Gesetzesstelle zu lesen, sondern auch den Gesetzeszusammenhang wahrzunehmen. So besagt Art. 9 Abs. 1 Grundgesetz: "Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden". Unter Gesellschaften sind neben Gewerkschaften und Parteien auch alle Formen wirtschaftlicher Zusammenschlüsse zu verstehen (GmbH, Kapitalgesellschaften etc). Art. 9 Abs. 2 erlaubt jedoch das Verbot von "Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten". Vereinigungen sind nichts anderes als die im Absatz 1 genannten Vereine und Gesellschaften. Es erschließt sich mir daher nicht, warum das Vereinsgesetz nicht "Vereinigungsgesetz" heißt und so die Gesellschaften aus Art. 9 Grundgesetz im Titel ausklammert.

Das ist aber letztendlich egal, denn in § 2 Abs. 1 Vereinsgesetz werden Vereine im Sinne des Gesetzes bestimmt als "ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung". Damit sind dann auch Gesellschaften Vereine im Sinne des Gesetzes und können somit verboten werden, wobei § 3 Abs. 1 Vereinsgesetz den Wortlaut des Grundgesetzes wiederholt. Nicht unter das Vereinsgesetz fallen laut § 2 Abs. 2 politische Parteien und Parlamentsfraktionen. Für deren Verbot gelten besondere gesetzliche Regelungen. Nicht unter das Vereinsgesetz fallen im Umkehrschluss von § 2 Abs. 1 zudem Vereinigungen, die sich nicht "für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen" haben. Nicht dass da jemand auf die Idee kommt und Demonstrationen mittels Vereinsgesetz zu verbieten. Andererseits braucht eine Vereinigung keine der in anderen Gesetzen (BGB etc.) geregelten Formen zu haben. Für Demonstrationen gilt übrigens Art. 8 Grundgesetz und die dort genannten Einschränkungsmöglichkeiten für Versammlungen unter freiem Himmel. Friedliche und unbewaffnete Versammlungen in geschlossenen Räumen dagegen können nicht untersagt werden. Näheres findet sich für Interessierte wie immer bei Wikipedia.

Was das Verbot von Compact so brisant macht, ist, dass es sich dabei um ein Presseerzeugnis handelt. Dazu sagt Art. 5 Grundgesetz, dass jede(r) das Recht hat, seine/ihre Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Die Pressefreiheit wird gewährleistet, eine Zensur findet nicht statt. Zensur heißt, der Staat erlaubt nicht etwas zu publizieren. Keine Zensur ist, wenn eine bereits erfolgte Publikation nachträglich verboten wird, z.B. wegen konkreter Gesetzesverstöße. Denn nach Art. 5 Abs. 2 ist die Pressefreiheit nicht grenzenlos, sondern kann durch allgemeine Gesetze eingeschränkt werden. Nun könnte man fragen ob, nicht das Vereinsgesetz eine solche Schranke ist, aber das Presserecht ist Länderrecht. Es gibt kein Bundespressegesetz, sondern nur Landespressegesetze der 16 Bundesländer (sowie den von den Bundesländern gemeinsam beschlossenen Medienstaatsvertrag). Soweit diese Gesetze Maßnahmen gegen Presseerzeugnisse erlauben, so können diese nur Wirkung im jeweiligen Bundesland entfalten. Ein bundesweites Verbot einer Zeitung ist somit presserechtlich nicht möglich.

Das Vereinsgesetz zielt aber gar nicht auf Presseerzeugnisse, sondern auf Vereinigungen, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind, egal welche Aktivitäten die Vereinigung entfaltet. Wenn dieVereinigung Presserzeugnisse herausgeben, so sind diese quasi ein (möglicherweise beabsichtigter) Kollateralschaden. Formal handelt es sich aber eben nicht um eine Einschränkung der Pressefreiheit. Denn wer als Einzelperson eine Zeitschrift publiziert, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet ist, kann eben nicht durch das Vereinsrecht daran gehindert werden. Das gleiche gilt auch, wenn in Zeitschriften solche verfassungsfeindlichen Positionen gelegentlich vertreten werden, diese Zeitschriften aber nicht das gesamte Erscheinungsbild/die Aktivitäten einer vereinigung prägen. Ein Verlag, der eine solche Meinungsvielfalt erlaubt, läuft somit nicht Gefahr nach dem Vereinsgesetz verboten zu werden. Wobei das Gesetz auch keine abgestuften Entscheidungen vorsieht, sondern nur Verbot ja oder nein, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind.

Formal ist also das Verbot von Compact mittels des Vereinsrechts zulässig, da eben nur die Vereinigung, die Compact herausgibt, verboten wird. Diese Vereinigung darf sich in der Folge nicht mehr betätigen und damit auch nichts mehr publizieren. Voraussetzung ist natürlich, dass der Nachweis gelingt, dass sich die Vereinigung gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet ist und dies gerade ihr Handeln prägt, aber da hat sich Herr Elsässer möglicherweise selbst ins Knie geschossen, wenn er erklärt, das Ziel von Compact sei der Umsturz des Systems. Aber auch wenn es sich vorliegend um ein Problem der Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 Grundgesetz handelt, so ist tatsächlich die Pressefreiheit nach Art. 5 Grundgesetz mit betroffen. Treten 2 Grundrechte in Widerstreit, so hat keines den Vorrang, sondern beide müssen Einschränkungen hinnehmen. Muss also bei Vereinsverboten die Pressefreiheit berücksichtigt werden? Hier streiten sich die Jurist*innen erwartungsgemäß. Die einen sagen formal nein, die anderen inhaltlich ja. Aber tatsächlich ist die Pressefreiheit - ebenso wie Meinungs- und Rundfunkfreiheit - nicht grenzenlos, sondern findet ihre Schranken laut Art. 5 Abs. 2 Grundgesetz in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Das ist enger als die verfassungsmäßige Ordnung oder der Gedanken der Völkerverständigung, trifft aber dann nicht das Presseerzeugnis, sondern die jeweils für den Text verantwortliche Person.

Dummerweise ist Compact nicht das erste Presseerzeugnis, dass über ein Vereinsverbot aus dem Verkehr gezogen wurde, bisher traf es u.a. mehrere kurdische Zeitungen und Fernsehsender, sowie die Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V., wobei das Verbot ja immer formal die dahinterstehende Organisation betraf. Bekannt ist der Fall der linken Internetplattform linksunten.indymedia (wobei der Fall der rechten Variante Altermedia etwas untergegangen ist - möglicherweise ist die Aufregung über solche Verbote auch von der politischen Meinung der berichtenden Personen abhängig, was ich für einen groben Fehler halte, weil Verbotsmöglichkeiten jeden im gleichen Umfang treffen können, also auch bei entsprechender Regierungsausrichtung auch die berichtenden Personen selbst; offenbar haben das einige Journalist*innen jetzt bei Compact-Verbot bemerkt). Soweit ich mich erinnere, wurden bei linksunten.indymedia Zweifel laut, ob es den vom Innenministerium behaupteten Verein als Betreiber der Plattform überhaupt gab, aber wie oben bereits geschrieben reicht es als Annahme der Existenz eines Vereins bereits aus, dass sich mehrere Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen haben, ohne einen Vereinsvorstand gewählt zu haben.

Festzustellen ist also, dass nicht jede Meinungsäußerung straflos ist. Festzustellen ist aber auch, dass ein solcher Gesetzesverstoß nicht zum Verbot eines Presseerzeugnissen ausreicht, sondern erforderlich ist der Nachweis, dass es gerade das Handeln der dahinterstehenden Vereinigung gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet ist. Laut Bundesverfassungsgericht ist es aber - anders als beim Parteienverbot (siehe NDP) - nicht erforderlich, dass die konkrete Gefahr besteht, dass ein Verein seine verfassungsfeindlichen Ziele auch erreichen kann. So mächtig ist die Presse nun auch nicht, auch wenn sie Bundespräsidenten zum Fall bringen kann. Aber Pressehetze kann schwerwiegende Folgen haben (siehe die Attentate auf Rudi Dutschke und Walter Lübcke).

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