27.9.24

Hannover - ein Punk-Schwindel?

Der nachfolgende Text ist eine Reaktion auf das Interview mit Horst Illing in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung anlässlich der Wiederveröffentlichung der zweiten Rotzkotz-LP "Lebenfroh + Farbenfroh". Überschrieben mit "Der große Punk-Schwindel" beschreibt Illing die Musik von Rotzkotz als "Trash-Garagen-Beat" und bestreitet, dass Hannover eine Punkmetropole gewesen sei: "Es war eher ein Konstrukt von Leuten, die behauptet haben, Hannover sei die Punkhauptstadt, aber wir haben das anders wahrgenommen. Wir haben zwar den punkigsten Namen von allen, aber wir haben uns nicht als Punks empfunden."

War Hannover eine Punkmetropole? Das kommt auf den Blickwinkel an, was man unter Punk versteht. Michael Polten, Gitarrist von Hans-A-Plast, meinte damals im Interview, noch vor Erscheinen der ersten LP, das die Band-Mitglieder sich nicht als Punks bezeichnen würden. Ihre Musik beschrieb er als "schnelle Rockmusik mit deutschen Texten" und die von Rotzkotz als "schnelle Rockmusik mit englischen Texten". Der Hintergrund war, dass der englische Punk, sofern er nicht gleich von der Presse wegen der Verwendung von Hakenkreuzen als faschistisch diffamiert wurde, als ein soziales Phänomen interpretiert wurde, als Musik der englischen Arbeiterklasse, und Arbeiterklasse waren die Mitglieder von Hans-A-Plast eben nicht. In den letzten 40 Jahren hat sich aber herausgestellt, dass die englischen Punks zumeist keine Mitglieder der Arbeiterklasse waren. So stammten die Sänger von The Clash und Generation X, Joe Strummer und Billy Idol, aus Diplomatenfamilien. Möchte man das Narrativ vom Arbeiterklassenrock aufrecht erhalten käme man wohl zu dem Ergebnis, dass es kaum Punkbands in (West)Deutschland gab und noch immer nicht gibt.

Dass die Idee von Punk in (West)Deutschland auf fruchtbaren Boden fiel, hat viel mit dem damaligen kulturellen und politischen Klima zu tun, dass von Zukunftsangst und den Folgen des "deutschen Herbstes" geprägt war, verbunden mit einer eher uniformierten Jugendkultur, geprägt durch lange Haare, Bundeswehrparkas und den Marsch durch die Institutionen. So war das Aufbegehren der von Punk infizierten Jugendlichen zu einen ein Aufbegehren gegen die Welt der Erwachsenen, die die Zukunft ihrer Kinder immer noch verplanen wollte ("euch soll es einmal besser gehen als uns" - ein Versprechen, dass sich aus heutiger Sicht als Selbstbetrug erwiesen hat), sowie gegen die vorangegangenen, damals ebenso uniformierten Jugendkulturen zusammen mit die Jugendlichen duzenden Sozialarbeitern. Hier war das gelegentlich verwendete Hakenkreuz ein Mittel der Provokation, aber kein Ausdruck politischer Gesinnung. Denn tatsächlich war den Menschen damals - bis in die 1970er Jahre - die politische Gesinnung quasi an ihrer Kleidung anzusehen. Und so wie ein Punk sah kein Alt- oder Neonazi aus, zumal diese sich auch nicht trauten, das Hakenkreuz offen zu zeigen.

Was dagegen gerne übersehen wird ist das geringe damalige Interesse der Medien an Jugendkulturen und der dazu gehörigen Musik. Und wenn über Punk berichtet wurde, dann waren die Artikel zumeist negativ. Ein typisches Beispiel ist der Titel des Spiegels vom Januar 1978 "PUNK - Kultur aus den Slums: brutal und häßlich", auf dem natürlich ein Hakenkreuz nicht fehlen darf. Informationen über Punk drangen nur bruchstückhaft, oft verzerrt, über den Kanal und den Atlantik nach (West)Deutschland, was dazu führte, dass viele Jugendliche und junge Erwachsene ihre jeweils eigene Interpretation von Punk erschufen, wobei auch Punk in London und New York so gar nicht den später verbreiteten Klischees entsprach, von wegen Lederjacken, bunte Haare und Irokesenhaarschnitt. So gab es denn viele Möglichkeiten, sich auffällig zu kleiden und zu verhalten und so in Widerspruch zur versteinerten Gesellschaftsetikette zu treten. Was auch damals noch gelegentliche Reaktion wie "Ihr gehört ins Arbeitslager" oder "Euch hat man wohl vergessen zu vergasen" provozierte. Das wichtigste aber war die Idee, selbst zu handeln, selbst ein Fanzine herauszugeben, Kleidung zu verändern oder Musik zu machen. Und weil die musikalische Entwicklung auch in London und New York nicht stehenblieb gab es immer neue Inspirationen, Musik jenseits der ausgetretenen Pfade zu machen. Verbunden mit neuen billigen Musiktechnologien und deutschen Texte ergaben sich vielfältige Klangmöglichkeiten. Das wurden dann die Wurzeln der Neuen Deutsche Welle und in dieser Hinsicht ist die zweite LP von Rotzkotz ein typisches Produkt dieser Zeit, auf dem Weg zu einer eigenen musikalischen Sprache. Und somit auf jeden Fall ein Punk-Produkt im weiteren Sinne.

Bleibt man aber bei der damaligen Definition von Punk - die sich aus heutiger Sicht als Fehlinterpretaion herausgestellt hat - so waren höchstens Blitzkrieg, aus denen später die Boskops wurden, eine Punkband in Hannover. Nicht einmal die Abstürzenden Brieftauben erfüllen das Kriterium des Arbeiterklassenrocks. Und ob es in Berlin, Hamburg oder Düsseldorf in dem Sinne "echte" Punkbands gab darf bezweifelt werden. Das ist auch egal, denn das ewige Verdienst von Punk, bevor er in den 1980er Jahren zur Karikatur seiner ursprünglichen Idee wurde und sich in die subkulturelle Nische zurückzog, ist der erfolgreiche Angriff auf die damaligen gesellschaftlichen Regeln. Ohne diesen Erfolg hätten wir heute nicht diese Vielfalt an Ausdrucksmöglichkeiten der Subkulturen und Menschen jeglichen Alters in Deutschland und überhaupt nicht nur in der westlichen Welt. Dieses Aufbegehren hat die menschliche Gesellschaft genauso verändert wie die viel gelobten 1960er Jahre. Dass danach der Generationenkonflikt an Schärfe verloren hat ist ein anderes Thema.

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