Philipp Meinert/Martin Seeliger (Hg.) "Punk in Deutschland. Sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven" (transcript, 2013)
Eigentlich ist es Zeit, Punk (und Rockmusik generell) in Deutschland mal wissenschaftlich zu betrachten, etwas, was in den englischsprachigen Ländern schon eine längere Tradition hat. Die Cultural Studies sind zwar in Deutschland angekommen, aber Rockmusik ist noch nicht allgemein würdig genug der wissenschaftlichen Beschäftigung (zumindest in der Zeitschrift POP Kultur & Kritik taucht es gelegentlich auf). Zudem gibt es in Punk eine (noch?) gewisse "Intelellen"-Feindlichkeit, sicherlich befeuert von nervenden wohlmeinenden verständnisvollen Sozialarbeitertypen aus der Hippie-Generation. Was aber etliche Punks auf ihrem späteren Lebensweg nicht daran gehindert hat, selbst in die Wissenschaften zu gehen. Ich vermute mal, sie haben ihre "Jugendsünden" nicht wie ein Plakat vor sich hergetragen, andererseits ab einem gewissen Standing in der Hierarchie kann mensch schon offener damit umgehen und überhaupt schreibt es sich am besten, wenn mensch selbst etwas vom Thema versteht. Trotzdem entstehen Bücher über Punk, die mehr als nur Erinnerungswerke sind, häufig außerhalb des universitären Systems. Insofern ist das Buch, Verzeihung der Reader, "Punk in Deutschland. Sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven" von 2013 bisher eine Ausnahme geblieben (und vielleicht sind Rap und HipHop gewinnbringender als Thema, weil multikultureller als der (alte?) weiße Punk).
Der Reader versammelt 14 Beiträge von verschiedenen Autor*innen, von denen mir 2 aus dem Plastic Bomb bekannt sind, also gehe ich davon aus, dass alle einen Szene-Bezug haben, der angesichts des jeweiligen Alters unterschiedlich sein dürfte. Dabei sind die Beiträge recht vielfältig, von eher persönlichen Berichten bis zu Texten, die abgesehen vom Inhalt den wissenschaftlichen Standards entsprechen. So wie der Betrag von Nejc M. Jakopin, Gitarrist u.a. von den Sexy Bacterias, der über die Vereinbarkeit von Unternehmertum und DIY-Ethik schreibt, eine Analyse, die etlichen DIY-Protagonist*innen zu denken geben könnte. Oder auch Thomas Hecken, Redakteur der Zeitschrift POP Kultur & Kritik, der die Wandlung der Wahrnehmung von Punk in der Musikzeitschrift Sounds (die Spex der 1970er Jahre) zwischen 1976 und 1979 beschreibt (ein Thema, dass ich gerne näher beleuchten würde, auch in bezug auf Repräsentation von westdeutschen Bands in dem Magazin, insbesondere Bands aus Hannover). Dieser Beitrag könnte m.E. der Ausgangspunkt für eine umfassendere Analyse der Berichterstattung über Punk in den (west)deutschen Medien in diesem Zeitraum (wie der Spiegel-Artikel "PUNK - Kultur aus den Slums: brutal und hässlich" vom Januar 1978) und ihren Einfluss auf die Szene sein. Während Philipp Meinert versucht, die APPD und die übliche Parteienkategorisierung in Übereinstimmung zu bringen, stellt Peter Seyferth die Frage,, ob Punk und Anarchismus wirklich zusammengehören. Weitere Beiträge nehmen sich die Chaostage, Punk in der DDR, Skinheads, Skatepunk, Elektropunk, Super-8-Filme, NDW und Trash, sowie die Verwendung des Slogans "Verschwende deine Jugend" vor. Insgesamt viel interessantes Gedankenfutter, es sei denn mensch steht auf Zynismus à la ZAP.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
ra.fuchs@web.de