...zufällige Gedanken zu verschiedenen Themen, die nicht nur mit Hannover, Musik, Punk, Politik zu tun haben ...
5.6.11
Gesellschaft mit beschränkter Hoffnung
Logischerweise ist die Sau längst durchs Dorf getrieben worden, Stéphane Hessel mit "Empört Euch" wahrscheinlich fast schon wieder vergessen, genauso wie Frau Heisig, aber leider nicht Herr Sarrazin. Und ist die Sau durch Dorf getrieben, bzw. in den Feuilletons und Talkshows durchgenudelt worden, interessiert es keinen mehr, was jemand über das Buch denkt. Wer es zu spät liest, den bestraft das Desinteresse. Auch so kann man politische Diskussionen abwürgen. Ich möchte nicht wissen, wie viele nicht zu Ende gelesene Exemplare von "Deutschland schafft sich ab" in deutschen Wohnzimmern verstauben. Trotzdem ein paar Worte zu Hessels Büchlein, dass mir neulich im öffentlichen Bücherschrank begegnete - und wahrscheinlich demnächst auch dort wieder landen wird. Ich verstehe die deutsche Aufregung über ein Buch, das sich an die französische Jugend wendet, nicht. Sicher, die paar allgemeinen Anklagen gegen das Finanzkapital, die französische Regierungspolitik und die israelische Politik gegenüber Gaza finden sich in den paar Seiten, doch im Kern fordert Hessel die Jugend auf, sich selbst etwas zu suchen, worüber sie sich empören kann. Zumeist aber schreibt der 93jährige darüber, was die Antriebsfedern seiner eigenenEmpörung sind, bzw. waren, und da liegt meines Erachtens die Unübertragbarkeit seines Aufrufs auf die deutschen Verhältnisse. Denn was ist die Grundlage seines Denkens? Es ist die Erfahrung der französischen Résistance und seine Beteiligung an der Entstehung der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" der Vereinten Nationen. Es ist eine positive geschichtliche Erfahrung, die von vielen Franzosen geteilt wird - man könnte es vielleicht auch Leitkultur nennen - wie auch die französische Revolution oder auch die amerikanische Unabhängigkeitserklärung, die zur Grundlage eines gemeinsamen Wertesystems wurde und von der aus die aktuelle Politik immer wieder neu zur Rechtfertigung ihres Handelns gezwungen werden kann. Es ist genau dieses Element, welches in Deutschland fehlt. Die gemeinsamen geschichtlichen Erfahrungen der Deutschen endeten alle in einer Katastrophe, namentlich 1. und 2. Weltkrieg - vorher gab es ja kein Deutschland, sondern nur eine Ansammlung von Kleinstaaten. Alle kollektiven Erfahrungen der Deutschen sind eher negativ besetzt, wie auch die gescheiterte Revolution von 1848. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde jeglicher geistige Aufbruch von Adenauers "Keine Experimente"-Politik erstickt. Die 1968er hatten nicht genug gesellschaftlichen Rückhalt, bzw. sie waren vereint in einem gemeinsamen Gegner, hatten aber keine gemeinsame moralische Grundlage. Nach dem Scheitern von Willi Brandt kam Helmut Schmid mit seinem "Wer Visionen hat soll zum Arzt gehen" und zerbröselte das, was noch an Hoffnungsresten übrig war. Heute hat keine politische Partei mehr irgendeine Vorstellung, wohin sich Deutschland entwickeln könnte, es ist alles nur ein tägliches Durchgewurschtel. Das erklärt auch den stetigen Vertrauensverlust in ihr politisches Handeln. Das Wort "Leitkultur" ist nur eine Blase ohne Inhalt. Eine tatsächliche Leitkultur, also gemeinsame moralische und historisch gewachsene Prinzipien, auf die sich alle Deutschen beziehen könnten, gibt es nicht und der sogenannte "Verfassungspatriotismus" ist nur eine konstruierte Ersatzhandlung, zudem mit dem Konstruktionsfehler, dass er von oben versucht wurde aufzuoktruieren, zudem auf ewig verknüpft mit der sogenannten FDGO, die ja nur eine sehr einseitige Auslegung der im Grundgesetz angelegten Optionen ist und zudem ein Kampfbegriff gegen jede Kritik von links. Zudem besagt der Begriff der Grundordnung ja schon, dass es hier im wesentlichen um formelle Regelungen, nicht aber um inhaltliche Werte geht. Der bekannte Satz von Oskar Lafontaine, dass "Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Machbarkeit, Standhaftigkeit Sekundärtugenden" seien, "womit man auch ein KZ betreiben" könne, legt den Finger in offene Wunde. Bei einer Leitkultur geht nicht um die Form, es geht um den Inhalt. Einen gemeinsamen Inhalt, eine kollektive Idee von Deutschland, die gibt es jedoch nicht. Es ist diese mangelnde Souveränität, diese ethische Unsicherheit, die Ängste gegenüber allen Fremden verursacht und dazu führt, Integration von Ausländern zu behaupten, aber tatsächlich Unterwerfung und Aufgabe jeglicher eigener Identität zu fordern. Und selbst dann gibt es keine Anerkennung als Gleichberechtigte wie die Geschichte den deutschen Judentums zeigt. Es gibt keinen positiven deutschen Grundkonsens, nur negative Abgrenzung. Und für die braucht es ständig neue Feinde, früher die Juden, heute den Islam. Und deshalb können sich die Deutschen nicht gegen ihre Politiker empören, weil es keine gemeinsame moralische Grundlage dafür gibt. Deshalb ist "Empört Euch" von Stéphane Hessel Buch nutzlos für Deutschland.
stimmt. das ist ja die scheiße in der erziehungs-diktatur brd. dosenpfand und rauchverbot. meine fräse! wer sowas als errungenschaften schluckt, wird sich über nix mehr empören. ein volk ohne traum, das sich ernsthaft vor salatgurken fürchtet, ist fällig für eine feindliche übernahme. eigentlich alternativlos... lolly.
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